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Fummelbunker

Fummelbunker

Titel: Fummelbunker
Autoren: Sonja Ullrich
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der Frisuren und Klamotten mutmaßte ich, dass das Bild in den 70ern aufgenommen worden war.
    »Wer ist das?«
    »Mein Vater. Ich bin der Junge auf seinem Schoß.«
    »Mann, du warst ja mal richtig dünn«, staunte ich.
    »Und eine ordentliche Matte auf dem Kopf hatte ich auch.«
    »Warum zeigst du mir das Foto?«
    »Ich möchte, dass du meinen Papi beschattest.«
    Ich gaffte Metin an. »Du willst mich veräppeln.«
    »Seit ein paar Tagen verdrückt er sich nachmittags aus dem Haus und trudelt nach einer Stunde wieder ein. Meine Mama kriegt die Pimpernellen. Die muss seit Monaten die Bettkante stempeln und kann nicht mal aufstehen und ihm die Pfanne auf den Kopp hauen, damit er zur Vernunft kommt.«
    »Zur Vernunft? Er ist doch nur für eine Stunde weg. Wahrscheinlich braucht er mal eine Atempause, trinkt eine Limo oder besucht einen Freund.«
    »Red kein Tinnef. Ich schwöre, der geht zum Eierberg.«
    Der Eierberg war ein Rotlichtviertel am Rande der Innenstadt. Die einschlägige Straße war eine Sackgasse und unterhielt zahlreiche Bordelle, ein Laufhaus sowie eine Art Kontakthof auf Höhe der Einmündung zur Gußstahlstraße. Die Reihenhäuser waren erd- bis sonnenfarben, die Gasse mit faustgroßen Steinen bepflastert. Jeder Mann kannte den Eierberg und wusste, wie es dort aussah, ohne persönlich jemals da gewesen zu sein.
    »Wie alt ist dein Paps?«
    »69.«
    Ich rümpfte die Nase. Ich wusste nicht, was anstößiger war: Ein Sohn, der seinen klapprigen alten Vater verdächtigte, eine Bordsteinschwalbe aufzugabeln, oder die Vorstellung, dass der Klepperhannes tatsächlich mit ebensolchen kopulierte.
    »Hast du kein aktuelleres Foto von ihm?«
    »Es wird nicht schwer sein, ihn zu entdecken. Er ist der einzige Mann mit Cordmütze, der das Haus gegen halb drei verlässt. Die Adresse steht auf der Rückseite.«
    Ich drehte das Foto um. Die benannte Straße lag in Stahlhausen in der alten Wohnsiedlung des Bochumer Vereins. Daraus schloss ich, dass Metins Vater früher als Stahlarbeiter für die Krupp Hüttenwerke geschuftet haben musste.
    »Ich werde sehen, was sich machen lässt«, sagte ich. »Werde ich denn dafür bezahlt?«
    »Dafür bekommst du doch schon eine Woche bezahlten Urlaub«, wiederholte Metin. Als ich mit den Zähnen knirschte, grinste er. »Vielleicht ist ja ein Bonus drin, wenn du gute Nachrichten bringst.«
    »Und wie könnte so eine gute Nachricht aussehen?«
    »Kann sein, dass er schwarz irgendwelche Klamotten in der Nordstadt verscherbelt. Das hat er in den 60ern schon öfter gemacht.«
    Ich rollte die Augen zur Decke.
    »Also.« Metin sah auf die Uhr. »Das Beste ist, du fängst gleich damit an.«
     
    Ich fing gleich damit an. Der Mittag verabschiedete sich gerade, als ich nach Stahlhausen fuhr, um Metins Papa auf die Schliche zu kommen. Das Haus von Yusuf Tozduman stand an der mehrspurigen Alleestraße, auch L654 genannt. Die sandfarbenen Häuser waren in Dreierreihen aneinandergeklatscht. In den Tälern der rot geziegelten Spitzdächer wucherten die stark beblätterten Äste hochstämmiger Platanen hinein. Der Bürgersteig vor den Hauseingängen war gerade mal einen Meter breit und erlaubte nicht mehr als zwei Schritte vorwärts, da man ansonsten auf der zehn Mal so großen Hauptstraße landete. Auf insgesamt drei Etagen ließen jeweils drei hohe schmale Fenster das Sonnenlicht hinein, der Lack der Fensterrahmen war flügge wie loses Vogelgefieder.
    Ich setzte den Twingo auf dem Schotter zwischen zwei Baumstämmen ab und musste 50 Meter bis zum Haus zurücklaufen. Es war mittlerweile zwei Uhr und ich hatte keine Lust, mich tagelang mit Metins Erzeuger zu beschäftigen oder ihm auf irgendwelchen verstaubten Baustellen aufzulauern. Ich wollte der Sache kurzfristig auf den Grund gehen. Daher drückte ich auf die Klingel, deren Ton wie eine getretene Krähe durch die im Erdgeschoss liegende Wohnung leierte. Ich lehnte mich gegen die Haustür in der Erwartung, der Summer würde gleich das Schloss entriegeln. Stattdessen schlich eine krumme, durch die milchige Glasscheibe verschwommen erscheinende Gestalt durch den Flur und schloss mit einem klappernden Schlüsselbund die Tür auf. Ein eingefallenes, gebräuntes Gesicht erschien im Türspalt. Ich schätzte den Mann zwischen 90 und scheintot. Er konnte unmöglich Metins Vater sein. Seine rattengrauen Augenbrauen waren mit den Jahren karg geworden, seine Tränensäcke überlappten die gut ausgebildeten Wangenknochen. Im Kontrast dazu stand die
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