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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita
Autoren: Polina Daschkowa
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sagte: »Komm ins Haus, Nika, sonst erkältest du dich noch.«

Neunundzwanzigstes Kapitel
    »Was ist das? Wer hat das hier hingelegt?«
    Auf Russows Schreibtisch lag die neueste Ausgabe des auflagenstärksten russischen politischen Wochenmagazins. Die erste Seite
     war aufgeschlagen. Russow starrte auf das große Farbfoto.
    Vom Hochglanzpapier blickten ihn tote Augen an. Viele tote Gesichter, tote Augen. Sie waren gut erhalten. Der Kodakfilm hatte
     sie so deutlich, so plastisch aufgenommen, daß man meinte, den widerwärtigen süßlichen Verwesungsgeruch wahrzunehmen. Russow
     konnte sogar das schwarze Pentagramm auf der Brust einer jungen Frau erkennen, die in der Mitte des Bildes ganz oben lag.
     Hinter dem Massengrab, hinter dem Berg toter menschlicher Körper, sah man die Taiga.
    Auf der nächsten Seite entdeckte der Gouverneur sich selbst, eines seiner besten Wahlplakate, im offenen Jackett, darunter
     in großen Buchstaben: »Wir werden leben, Freunde!« und seine schwungvolle Unterschrift: G. Russow.
    Die Fotos begleitete ein großer Artikel »Das Gold der Gelben Schlucht«, darunter stand der Name des Autors: Viktor Godunow.
    Russow starrte angestrengt auf den Text, konnte aber keine Zeile lesen. Auf seinem Schreibtisch klingelten gleichzeitig zwei
     Telefone. Russow hielt sich die Ohren zu, dann schüttelte er heftig den Kopf und nahm einen Hörer ab.
    »Grigori Petrowitsch, schalten Sie den Fernseher an, erstes Programm«, hörte er seinen Pressesekretär mit einschmeichelnder
     Stimme sagen, warf den Hörer auf die Gabel und griff nach der Fernbedienung. Auf dem Bildschirmerschien das Gesicht eines prominenten Moderators, dann ein Foto des offenen Massengrabs am Ufer der Moltschanka. Die Telefone
     schrillten weiter. Er stellte den Fernsehton lauter.
    »Auf Befehl des Ministers ist eine Einsatzgruppe des Innenministeriums vor Ort eingetroffen. Aus sicheren Quellen ist uns
     bekannt, daß Herr Russow, der kürzlich aus den Gouverneurswahlen so erfolgreich als Sieger hervorging, nicht nur von den Vorgängen
     wußte, sondern an diesem ungeheuerlichen Verbrechen unmittelbar beteiligt war. Einzelheiten in unserem Sonderbericht heute
     um zweiundzwanzig Uhr fünfzehn.«
    Russow schaltete den Fernseher aus. In seinen Ohren gellte das Telefonschrillen. Er nahm abermals ab.
    »Grigori Petrowitsch, Sie werden nach Moskau gebeten, ein offizielles Regierungstelegramm …« Die erschrockene Stimme der Sekretärin
     klang dünn, wie aus der Ferne. »Ja, und hier im Vorzimmer steht jemand von der Bezirksstaatsanwaltschaft.«
    Er schleuderte den Hörer zurück und stürzte zum Fenster, das auf den Platz hinaus ging. Unten stand ein schwarzer gepanzerter
     Jeep, daran lehnten zwei muskelbepackte Gorillas, zwei schweigsame Bastarde aus Spelys Mannschaft, und blickten zu ihm hoch.
     Daneben parkten mehrere Milizautos und ein schwarzer Wolga aus der Bezirksstaatsanwaltschaft.
    Russow sprang vom Fenster zurück, riß so heftig an der Schnur, daß die Plastikjalousie ganz schief hing, dann rannte er zur
     Tür und verriegelte sie.
    Jemand klopfte an, erst diskret, leise, dann immer lauter. Russow kehrte zum Schreibtisch zurück, sank in seinen Sessel und
     schloß die Augen. Das Klopfen verstummte. Im Raum herrschte Totenstille. Wie auf Kommando schwiegenauch die Telefone, nur das Handy in der Innentasche seines Jacketts klingelte melodisch.
    »Hallo, Grischa. Zieh die oberste Schublade deines Schreibtischs auf«, vernahm er den schleppenden Baß von Spely und befolgte
     den Befehl wortlos. In der Schublade lag eine Pistole. »Gefunden?« fragte Spely gutmütig. »Warum sagst du nichts? Es ist eine
     Patrone drin. Du siehst, ich gebe dir aus alter Freundschaft eine Chance.«
     
    Im Vorzimmer, hinter der dicken Tür, klang der Schuß ganz leise – ein schwaches Ploppen. Die blutjunge Sekretärin zuckte zusammen
     und ließ die Puderdose fallen. Der Staatsanwalt ging schweigend zur Tür, rüttelte ein letztes Mal an der Klinke und forderte
     dann ein Spezialteam an, denn eine Stahltür ließ sich nicht ohne weiteres aufbrechen.
     
    »Und jetzt die Augen schließen. Tief einatmen und die Luft anhalten. Wir wiederholen in Gedanken noch einmal: Unabdingbare
     Voraussetzung für ein Vorankommen in der Praxis ist die absolute Ergebenheit gegenüber dem Guru. Darum werde ich dem Guru
     in höchstem Maße ergeben sein. Um meiner Rettung willen werde ich alles opfern.«
    Auf dem Fußboden des großen Saales saßen in einem weiten
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