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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig
Autoren: Dietmar Dath
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entweder wirklich erst zehn, zwölf, dreizehn Jahre alt waren oder doch so aussahen, auf großäugige, blasse Weise hübsch, kleine Ge spenstinnen eben, meist mit langen, glatten Haaren, bevorzugt schwarz – genau, richtig, jetzt fällt es mir auch ein, wie das zustande kam mit dem »Schöninchen«: Philip hat mich dabei beobachtet, wie ich im Aufenthaltsraum unserer Schule, einem aquaresken Glaskasten in typi scher sozialliberaler Siebziger-Jahre-Schulbauweise, einem dieser Mäd­chen hinterhergeschmachtet habe, das da grad den Raum verließ, und dann hat Philip gesagt: »Wieder so ein Schneewittchen. Dein Typ steht fest, oder?«, und in diesem Augenblick war Jennifer dazugekommen und hatte gesagt: »Was ist mit Schöninchen?« – eine Verballhornung, richtig, eine Wortverdrehung. »Morphismus«, wie Philip das dann später zwanghaft nannte, als wir das Buch gefunden hatten. Frau Flasch hätte es uns wegnehmen sollen – vor allem Philip. Na ja, verschüttete Milch.
    Wo war ich stehengeblieben? Valerie Thiel.
    Sie fand sich gut zurecht in der kargen Landschaft, die von den Erwachsenen »Krise« oder »Rezession« genannt wurde. Sehr gut war’s ihrer Ansicht nach, unter solchen Umständen in einer großen Stadt zu leben. Man konnte da fast alles finden und umgekehrt fast allem aus dem Weg gehen. Kleinstädte oder Dörfer mußten in dieser Hinsicht fürchterlich sein, sie wollte gar nicht wissen, wie schlimm.
    Valerie war nicht leicht zu erschrecken; bei der Tochter einer Zombotikerin zwar nichts Besonderes, aber im Alltag doch auch ein Bonus: in Bio, als ein Film über die Paarungsnickligkeiten der Gottesanbeterin gezeigt und von Mitschülerinnen und Mitschülern einigermaßen Bäh gefunden wurde, äußerte sie in der anschließenden Fragestunde, sie habe das alles »eigentlich eher interessant« gefunden. Sarah erzählte sie sofort danach, in der Pause, per Handy alles: »Echt, paß auf: Eines der ganz wenigen Insekten, die überhaupt einen Hals haben, bei den andern sitzt der Kopf auf dem Leib, und die kann ihren um 36 0 ° drehen, lang und biegsam … Dreht sich also in sämtliche Richtungen, da kann sie dann locker das Männchen verspeisen, während es ihr aufhockt und sie öh, na ja … begattet, nämlich indem sie den Kopf nach hinten dreht und seinen abbeißt. Gleichzeitig zwei Sorten fun, oder?«
    »Hä?«
    »Na, die Liebe und die Mahlzeit.«
    »Klar«, meinte Sarah darauf abgeklärt, »wenn ich ’n Zombotiker in der Familie hätte …«
    »Zombotikerin!« verbesserte Valerie.
    »… würd’s mir auch am Arsch vorbeigehen. Fressen die nicht frisches Hirn, um in Form zu bleiben? Deine Mutter? Frißt die eigentlich frisches Hirn?«
    Valerie rümpfte die Nase, dann schnaubte sie: »Pff! Was lallst du denn da schon wieder für’n totalen Quatsch an mich ran, Sarah? Haste das in ›Coupé‹ gelesen, auf RTL gesehen oder was? Erstens sind Zombotiker keine Monster – was du meinst, ist die Rohform, Zombies, so wie die ersten, vor ewigen … öh, ach, weiß nicht genau, jedenfalls vor ’nem Dutzend Jahren, als das Verfahren noch nicht mal … wie heißt das … ausgereift war, genau, da hatten …«
    »Zombies«, verkürzte Sarah die Apologie. »Ich weiß schon.«
    »Eben. Und nicht mal die essen ›frisches Hirn‹, es sei denn, ihr Zombiemeister befiehlt es ihnen.«
    »O.k. Der Zombiemeister. Wenn du es sagst. Wer ist das bei euch, dein Alter?«
    Manchmal machte es ja Spaß, sich gegenseitig anzupflaumen, aber diese Bemerkung kränkte Valerie genug, daß sie das Gespräch mit einem Daumentastendruck abbrach. Es gongte sowieso gerade wieder, Ruf in den Unterricht, und bis zur nächsten Pause war die Beleidigung dann glücklich vergessen.
    2  Fünfzehn Jahre, na gut: Man konnte schon über die Hecke oder Mauer ins Erwachsenenweltall schauen, war aber noch nicht verpflichtet, den damit verbundenen Mumpitz von Verantwortlichkeit, Wackersinn und so weiter mitzumachen. Allgemeiner Sozialkram und speziell Sex, die beiden großen furchtbaren, manchmal auch furchtbar gewöhnlichen Aussichten dieser abstrakten Erwachsenengegend jenseits der Grenze, ließen sich vom Rand der Veranstaltung schon mal ein bißchen kennenlernen: die Geräusche, die Probleme, der Geschmack. Dabei half besonders die etwas – und das heißt in diesem Alter: entscheidend – ältere Sarah, die Valerie beim Babysitten für Handygeld kennengelernt hatte, auf Christinas kleinen Bruder Lukas paßten dann beide ab und zu abwechselnd auf.
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