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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig
Autoren: Dietmar Dath
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dem schwarzen Männchen dabei zusehen, wie es meinen Schatten oder meine Seele ( ti bon ange – wie lange ist das eigentlich her, daß ich was darüber gelernt habe?) oder meinetwegen ganz allgemein »mich« jagt. Von mir aus gesehen aber, ich erwähnte es bereits, ist Valerie schon fast der ganze Sinn von letztlich allem.
    Valerie Thiel war eine schöne Jugend in kargen Zeiten und wollte auch nichts weiter sein. Sie las gern Manga-Comics, und zwar, mit ihren eigenen Worten, »so nachgemachte aus Italien wie ›Witch‹ fast gleich gern wie die richtigen aus Japan«.
    Ihre Eltern waren in Ordnung. Ein bißchen lebten sie allerdings hinterm Mond, ihre, wie soll man sagen: Elterndetektoren waren nicht ­jeder­zeit auf Empfang geschaltet und wenn doch, dann häufig auf der falschen Frequenz. Aber es gab selbstverständlich Schlimmeres, als derlei völlig durchschnittliche Eltern aushalten zu müssen, denen man manchmal halt nicht erklären konnte, was los war, und die man hin und wieder anlügen mußte, zu ihrem eigenen Besten.
    Valeries Mutter war tot, lief aber wieder rum, Valeries Vater war ein passabler Ernährer und heimlicher knabenversessener Serienmörder, der während sowohl angeblicher wie echter Geschäfts- und Fortbildungswochenenden in fremden Städten (und einmal auch bei einem allein verbrachten Erholungsurlaub im Ausland) überwiegend Strichjun gen tötete, bloß zweimal gewöhnliche Buben, die zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen waren. Daß die Mutter nicht immer mithalten konnte mit den Stimmungsumschwüngen und sonstigen Entwicklungsschüben der Tochter, sah ihr Valerie problemlos nach – als Tote, genauer: als wiederbelebte Zombotikerin, wunderte sich »das alte Mäd­chen« (wie Valeries Vater Valeries Mutter manchmal nannte) nicht nur über die Anstalten und Abenteuer der Frucht ihres Leibes, sondern immer wieder auch über winterliche Eisblumen am Fenster, Herbstwind, den Brötchengeruch, der morgens aus der warmen Bäckertüte strömte, Krankenwagensirenen von der Straße her, Hitzewellen im Sommer und andere erznormale Dinge, die sie während ihrer drei Wochen im Jenseits vergessen hatte und sich, seit sie wieder auf der Welt war, offenbar einfach nicht wieder aneignen, geschweige dauerhaft merken konnte.
    Daß ihr Gatte kleine Jungs erstach, wenn ihn sein Rappel packte, hätte sie wahrscheinlich nicht mal erfasst, wenn es vor ihrer Nase passiert wäre. Valerie hatte davon ebenfalls nicht die geringste Ahnung, was sich vielleicht damit entschuldigen läßt, daß der arme Mann drei Viertel seines Wachlebens auch selbst in völliger Unkenntnis dieser während schwerer psychotischer Episoden begangenen Verbrechen fristete.
    So oft der gemeinsame Wille ihrer Eltern dem nicht entgegenstand, ging Valerie mit ihren Freundinnen Christina und Sarah Samstag abends fast immer in die Stadt – am liebsten in die ganz großen ­Großraum­­discos und die Studentenclubs, in die man leichter reinkam, wenn man mehr Lidschatten und Mascara benutzte als unbedingt nötig. »Manchmal muß man trotzdem den Ausweis zeigen, dann geben wir auf, gehen zu McDonald’s, überlegen uns was anderes, außerdem ist Sarah schon 19 und kriegt uns oft noch irgendwo rein. Wenn aber gar nichts läuft, kannste immer noch ins Kino.«
    Valerie liebte ihre Wildleder-Stiefeletten, die perlenbesetzten violetten Jeans mit Schlag und das Jeans-Spaghetti-Top mit Schleife, mochte Platten von Avril Lavigne, Pink und Bush, schickte gern SMS -Botschaften durch die Gegend, telefonierte andauernd mit ihrem Handy – der Ausdruck trifft es genau: Sie telefonierte weniger mit ihren menschlichen Gesprächspartnerinnen und -partnern als mit dem Handy selbst, das sie seit ihrem fünfzehnten Geburtstag besaß und dessen Grundgebühr ihr vom Taschengeld abgezogen wurde, während die Gesprächskosten mit dem Geld vom gelegentlichen Zeitungsaustragen bezahlt wurden. Als ich jung war, so alt wie Valerie zum Zeitpunkt, da die Geschichte anfing, die ich erzählen muß, hätten meine besten Freunde, Philip und Jenny, jemanden wie Valerie als »ein Schöninchen« bezeichnet. Ich weiß nicht mehr, wer diese leicht spöttische Verniedlichungsform von »eine Schöne« oder »eine Schönheit« damals eigentlich erfunden hat, vielleicht war ich es auch selber. Jenny und Philip hatten jedenfalls immer eine Menge Spaß daran, mir vorzuhalten, daß ich, selber gerade erst vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, mich fast immer in Mädchen verliebte, die
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