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Füge Dich! (German Edition)

Füge Dich! (German Edition)

Titel: Füge Dich! (German Edition)
Autoren: Eva Stern
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und sich endlich befreien.
    Ihr Hals schmerzte und sie hatte Durst. Höllischen Durst. Während des Überfalls hatte Alina keinen Gedanken an Essen und Trinken verschwendet, jetzt aber machten sich Hunger und Durst um so massiver bemerkbar.
    Sie überlegte, was sie jetzt am besten täte. Sie musste raus aus diesem Wald, so schnell wie möglich. Bisher hatte sie die Wanderwege gemieden. Aus Angst, der Priester könnte ihr folgen, hatte sie sich durch das Dickicht gekämpft. Doch orientierungslos, wie sie war, konnte es durchaus sein, dass sie im Kreis gelaufen und der Hütte schon wieder ganz nah war.
    Wie auch immer, sie musste dieses Risiko eingehen. Sie musste Menschen finden, die ihr helfen würden. Wanderer hatten immer Getränke und etwas zu essen dabei. Alina lief das Wasser im Mund zusammen bei dem Gedanken daran. Sie überlegte kurz, wie sie ihren Körper bedecken könnte; sie konnte doch nicht nackt gehen, oder? Aus Efeuranken, an denen sie Farnwedel befestigte, machte sie sich behelfsmäßig Rock und Oberteil, keine Schönheit, aber es bedeckte sie.
    Doch als sich endlich ein breiter, gepflegter Pfad vor ihr ausdehnte, hatten sich die Farnwedel bereits zum großen Teil wieder gelöst oder sie waren abgerissen worden, weil Alina irgendwo hängen geblieben war. Außerdem juckten die Pflanzen auf der Haut. Das war eine blöde Idee gewesen; genervt riss sie sich das verbliebene Grünzeug vom Körper.
    Hatte sie da nicht neulich etwas über Nacktwanderer gelesen? Leute, die tatsächlich splitterfasernackt durch den Wald spazierten? Warum sollte sie das nicht auch machen?
    Sie musste sich nur ganz normal verhalten. So, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, nackt zu wandern.
    Alina stellte sich vor, einer fröhlich schnatternden Wandergruppe zu begegnen, die bei ihrem Anblick augenblicklich verstummte und ihr mit heruntergeklappten Kinnladen hinterher starrte, während sie freundlich grüßend, mit einem vergnügten Lächeln im Gesicht an ihnen vorbeimarschierte.
    Sie musste grinsen. Sollte sie es wagen? Ihr Magen knurrte wie ein aufmerksamer Wachhund und der Durst quälte sie ebenfalls grausam. Sie überlegte, wie sie die Leute ansprechen sollte: «Entschuldigen Sie, ich habe meinen Rucksack verloren, hätten Sie vielleicht etwas zu trinken und zu essen für mich? Warum ich nackt bin? Ach, im Sommer wandere ich immer so, es ist so befreiend!» Alina konnte ein Kichern nicht unterdrücken. Sie spielte in Gedanken verschiedene Szenarien durch, doch zufrieden war sie mit keinem. Sie wollte niemandem von ihrer Not erzählen; bloß keine Polizei, sie müsste dann all diese äußerst peinlichen Erlebnisse erzählen, das würde sie nie, nie mehr tun. Sie musste sich nur etwas stärken, dann würde es schon irgendwie weitergehen. Alina nahm all ihren Mut zusammen und mit vor Aufregung klopfendem Herzen machte sie sich auf den Weg.
    Wer würde ihr als Erstes begegnen? Sollte sie tatsächlich eine Konfrontation wagen oder lieber rechtzeitig in Deckung gehen? Sie wollte sich spontan entscheiden, wenn es so weit war.
    Sie sollte schon bald vor dieser Entscheidung stehen.
    Von Weitem drang ein helles Lachen an ihr Ohr. Kinderlachen. Es näherte sich ungewöhnlich schnell. Eine Biegung trennte sie noch von den Kindern, doch ehe Alina ein sicheres Versteck ausmachen konnte, kamen bereits zwei kleine Buben um die Kurve gestürmt. Sie mochten beide im Grundschulalter sein. Als sie Alina erblickten, blieben sie abrupt stehen und starrten sie einen Augenblick lang sprachlos an. Dann packte der ältere den kleineren Jungen und rannte mit ihm, aufgeregt rufend, zu den Eltern zurück.
    «Mama, Papa, da ist ’ne nackte Frau! Die hat gar nichts an, die ist total nackt!»
    Alina hörte nun auch die aufgeregten Stimmen der Eltern. Die Familie musste gleich um die Biegung kommen. Alina hechtete ins nächste Dickicht und kauerte sich so klein wie möglich zusammen. Bitte geht weiter! Warum musste es ausgerechnet eine Familie sein?
    «Nein, die Frau lag nicht auf der Erde, die war nicht verletzt. Die ist ganz normal den Weg lang gelaufen!»
    Die Eltern warfen sich wissende Blicke zu. «Da habt ihr uns mal wieder schön an der Nase herumgeführt. Aber das muss man euch lassen, das war richtig gut, ihr solltet Schauspieler werden. Wir hätten es beinahe geglaubt!»
    «Aber das stimmt, die war gerade noch da, frag Daniel, wir haben nicht geschwindelt!» Der Kleinere stimmte lautstark in die Beteuerungen seines Bruders ein, doch ihre
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