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Frühstückspension: Kriminalroman

Frühstückspension: Kriminalroman

Titel: Frühstückspension: Kriminalroman
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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gehe. Nicht zurück auf die Intensivstation. Nicht heute. Ich werde nach Horumersiel zurückfahren. Vielleicht einen Spaziergang an der frischen Herbstluft unternehmen. Vielleicht auch eine Entscheidung fällen. Ich kann sie nicht ewig hinauszögern. Sonst wird er mich vorher aufspüren. Dann wird es zu spät sein.
     

2
    Ich schließe die Haustür auf und bin schon wieder müde. Schlafen, denke ich. Mich im Bett verkriechen und an nichts mehr denken müssen.
    Die Wohnungstür steht offen. Ich höre Frau Heinrich telefonieren und bemühe mich, leise zu sein. Will nur in mein Zimmer huschen, ohne zu reden, ohne erklären zu müssen. Ich komme nicht umhin, ein paar Gesprächsfetzen mit anzuhören.
    »Nein, tut mir leid. Ich habe zurzeit kein Zimmer frei«, höre ich ihre freundliche Stimme. »Alles belegt. Vielleicht ein anderes Mal. Gerne. Ich würde mich freuen. Tschüss.«
    In der ersten Etage stehen die Türen noch immer angelehnt. Die Zimmer sind leer. Warum lügt Frau Heinrich? Hat sie einfach keine Lust auf Feriengäste? Warum hat sie dann mich aufgenommen? Ich schiebe die Gedanken beiseite. Ihre Entscheidung kommt mir entgegen. Es tut gut, dass ich den Flur für mich habe. Niemandem zu begegnen.
    Ich setze mich an den schmalen Tisch und trinke meine mitgebrachte Apfelschorle. Blätter werden über die Deichkrone gewirbelt. Ich schaue ihnen nach. Vielleicht sollte ich Sandra schreiben. So ein Brief ist ein paar Tage unterwegs. Oder anrufen? Sie sollte endlich von dem Unfall erfahren. Es wird sie belasten. Sie steckt mitten in den Prüfungen. Die letzten, wichtigen Prüfungen. Das hat Reinhard mir noch erzählt. Lüge, Teresa, du bist nicht besorgt. Du hast Angst. Angst vor ihren vielen Fragen. Sandra kann so anstrengend sein.
    Ich schiebe das Schreibzeug beiseite und lege mich angezogen auf mein Bett. Ich muss zur Ruhe kommen. Dieses Zimmer ist ein guter Anfang. Aber es ist keine Lösung. Ich kann mein Leben nicht zwischen diesem Zimmer und Krankenbesuchen einrichten. Ich brauche jemanden zum Reden. Mit wem könnte ich reden? Wirklich reden. Ich denke an Maike und schlafe ein.
    Sandra. Wir sind in einem Schwimmbad. Ein sehr großes mit einer Riesenrutsche. Sandra ist noch klein. Vielleicht sechs Jahre alt. Sie steht unschlüssig vor der Rutsche. Sehnsüchtige Blicke, aber sie hat Angst. Ich auch. Ich hasse Wendeltreppen. Ihre engen Kurven. Die vielen Lücken. Immer die Höhe vor Augen. Den Augenblick, wenn man oben steht und sich loslassen muss, um in die Bahn zu gleiten. Hinter einem schon der ungeduldige Atem des Nächsten. Am Ende wartet das Wasser. Unausweichlich das Eintauchen. Immer anders. Sandra möchte so gern rutschen. Ich nehme sie an die Hand. Gemeinsam steige ich mit ihr Stufe für Stufe hoch. Nur nicht nach unten sehen. Nicht zur Seite. Nur nach oben. Stufe für Stufe. Immer weiter. Oben angekommen, klemme ich Sandra zwischen meine Beine. Sie schmiegt ihren schmächtigen Körper an meinen Bauch. »Mit dir habe ich vor nichts Angst, Mama.« Ihr grenzenloses Vertrauen macht mich glücklich. Wir sausen los, lassen die Geschwindigkeit ungebremst zu. Keine Angst vor dem Ende. Keine Angst vor dem Aufprall. Der kommt hart und plötzlich und zerreißt mich.
    Ich schrecke hoch. Starre gegen die vertäfelte Decke. Der Fußboden bebt nach. Ich realisiere mühsam, die Haustür muss mit Wucht zugeworfen worden sein. Gerade in diesem Augenblick. Ein Wagen wird gestartet. Heftig, wie von jemandem, dem es nicht schnell genug geht. Der auf der Flucht ist. Dann ist es wieder still.
    Ich liege da und wische mir über das Gesicht. Tränen. Ich habe im Traum geweint. Sehnsucht nach meinem Mädchen. Nach unserer gemeinsamen Vergangenheit. Nach der Leichtigkeit der ersten Jahre. Was ist falsch gelaufen zwischen uns? Wann hat sie angefangen, nur noch Reinhard Fragen zu stellen? Warum habe ich mich unsichtbar gemacht? Die Gedanken sind unerträglich. Träume, denke ich und stehe entschlossen auf.
    Ich ziehe die Haustür zu und stolpere fast über Frau Heinrich. Sie hockt vor einem Blumenkübel. In einem giftgrünen Anorak und leuchtend roten Holzschuhen. Ich bin sicher, wie immer barfuß. Sie kümmert sich nicht um mich. Buddelt schwer atmend eine Margeritenstaude aus. Sie trägt keine Handschuhe. Das passt zu ihr. Aber nicht die heftigen, ungeduldigen Bewegungen.
    »Schade, die Margeriten haben mir so gut gefallen«, rutscht mir heraus. Sie antwortet nicht. Wühlt nur noch verbissener in der Erde und verteilt sie rund um
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