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Frühstückspension: Kriminalroman

Frühstückspension: Kriminalroman

Titel: Frühstückspension: Kriminalroman
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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sie nicht in den Arm zu nehmen.
    Sie erinnert mich an Sandra. Obwohl die beiden keine Ähnlichkeit miteinander haben. Wie lange habe ich meine Tochter nicht gesehen? Ein Jahr oder länger? Unwichtig. Wir haben uns schon viel früher voneinander entfernt. Anfangs war ich sogar erleichtert, dass Sandra ins Ausland gehen wollte. Die endlosen Auseinandersetzungen zwischen ihr und Reinhard. Immer über meinen Kopf hinweg. Als bestünde ich aus Luft. Mit mir hat sie sich nie gestritten.
    In jeder Intensiveinheit stehen zwei Betten. Ein ständiger Wechsel der Patienten. Gestern lag er noch allein im Zimmer. Heute pumpt hinter einem weißen Sichtschutz eine weitere Beatmungsmaschine Sauerstoff in einen Menschen. Am Bett steht ein Mann. Ich kann nur seine Beine sehen. Anzughose mit Bügelfalte. Die Schuhe blank und schwarz. Ich will Guten Tag sagen, bekomme aber nur ein heiseres Krächzen heraus. Der Mann reagiert nicht. Ich binde umständlich die Schleife von meinem Überkittel neu. Unnötige Verzögerung. Sie hilft mir nicht. Ich muss ihn doch betrachten.
    Reinhard Gabers. Sein Name steht mit dickem Filzstift auf ein Schild am Fußende geschrieben. Er liegt auf dem Rücken. Wie immer mit geschlossenen Augen. Die Lider glänzen unter einer Fettcreme. In seiner Nase steckt ein Tubus. Die Sauerstoffverbindung zum Beatmungsgerät. Seine Arme sind nackt. Noch immer gebräunt und muskulös. Um den linken ist eine Blutdruckmanschette gewickelt. In den rechten tropft Flüssigkeit aus verschiedenen Infusionsflaschen. Seine Beine sind auf Kissen gelagert. Dabei wirkt er so unversehrt, als könne er jeden Augenblick seine Augen öffnen, sich den Schlauch aus der Nase ziehen und aufstehen.
    Aber der Oberarzt hat schon vor drei Tagen mit mir gesprochen. Sehr freundlich und sehr weit entfernt.
    Die Prognose für meinen Mann wäre schlecht. Wenig Hoffnung, dass er ohne Gerät wieder atmen könne. Noch weniger, dass er jemals wieder aus dem Koma aufwachen würde. Dazu kämen noch die diversen Vorerkrankungen. Ich habe in meiner Verwirrung nicht nachgefragt, welche er meinte.
    Endlich wage ich es und lasse meinen Blick höher, bis an seine Schädeldecke wandern. Vor dem Bild fürchte ich mich am meisten. Sie haben ihn zur Hälfte kahlrasiert. In der befremdlich wirkenden Glatze steckt ein Schlauch. Sie haben ein Loch durch den Schädelknochen gebohrt. Zur Druckentlastung, wurde mir erklärt. Fleischfarbene Flüssigkeit tröpfelt durch die Ableitung in ein Gefäß. Ich weigere mich, mir vorzustellen, was da genau aus ihm herausfließt. Das verbliebene Haar wirkt wie eine verrutschte Perücke.
    Ein Krankenpfleger kommt in das Zimmer. Ich kenne ihn noch nicht. Er ist jung. Aber sie erscheinen mir hier alle sehr jung. Er lächelt mir routiniert in die Augen. Für sie hat alles so viel Normalität. Das tröstet mich im gleichen Maße, wie es mich abstößt.
    Er geht neben dem Bett in die Hocke und gießt Urin von einem kleinen Auffangbehälter in einen großen Beutel. Die Menge trägt er in eine Tabelle ein.
    »Keine Angst vor den vielen Schläuchen. Setzen Sie sich und reden Sie mit Ihrem Mann. Reden Sie einfach so, wie Sie immer mit ihm geredet haben.«
    Er rückt mir einen Hocker neben das Bett. Ein letztes aufmunterndes Lächeln, und er eilt zum nächsten Bett.
    Mit ihm reden. Wie zu Hause. Ihn berühren. Das erzählen sie mir seit einer Woche. Ich setze mich gehorsam auf den angebotenen Platz und schweige.
    Eine Hand legt sich leicht auf meine Schulter. Ich zucke zusammen. Schwester Maike. Sie beugt sich zu mir hinunter. So nah, dass ich ihre Haut riechen kann.
    »Haben Sie ein schönes Zimmer gefunden?«, fragt sie.
    Ich nicke kaum merklich. Mag mich nicht bewegen. Ihre Nähe tut so gut.
    Ich saß mit Sandra am Küchentisch. »Warum willst du so weit weg? Warum gleich in die USA?«
    Dabei hörte ich meine eigene Scheinheiligkeit. Ich dachte: Wie schön, endlich Ruhe im Haus! Und schämte mich dafür. Sandra trug einen Seidenpyjama. Ein Bein angewinkelt und unter das andere geklemmt. So saß sie auf dem Stuhl und schmierte sich ein Brötchen.
    »Weil Auslandserfahrungen hoch bewertet werden.« Sie sah mich dabei nicht an. Belegte ihr Brötchen weiter mit Tomaten und Käse. Ihre Stimme hatte den gleichen Klang wie Reinhards, wenn er mir eine Frage beantworten musste. Höflich, mit einem genervten Unterton.
    »Das Autofahren hat Ihnen nichts ausgemacht?« Maikes Stimme ist noch immer dicht an meinem Ohr.
    »Nein. Ich glaube nicht daran, dass
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