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Frühstückspension: Kriminalroman

Frühstückspension: Kriminalroman

Titel: Frühstückspension: Kriminalroman
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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Autoreifen regelmäßig platzen«, wehre ich leichthin ab. Dabei genieße ich ihre besorgte Nachfrage.
    »Erzählen Sie Ihrem Mann doch von dem Zimmer«, schlägt sie leichthin vor. Sie streicht mir noch einmal zart über das Schulterblatt und lässt mich allein.
    Ich muss hart schlucken, um nicht auf der Stelle loszuheulen. Schwester Maike hat meine Hilflosigkeit, Worte für ihn zu finden, erkannt. Ob ihre Kollegen ähnlich denken? Und wenn, hoffe ich, dass es alle auf die Ausnahmesituation schieben. Vielleicht beobachten sie mich längst? Du spinnst, Teresa. Steigere dich nicht in eine Hysterie.
    Sie schenken dir nicht mehr Beachtung als allen anderen Angehörigen von Schwerkranken. Nur, zwischen Schwester Maike und mir, das ist etwas Besonderes.
    Ich höre eine Zeit lang dem Singsang der Beatmungsmaschine zu. Wie immer wirkt die unerschütterliche Mechanik auf mich beruhigend. Ich betrachte ihn. Von dem Zimmer könnte ich wirklich erzählen. Dazu würde mir etwas einfallen. Schüchtern tastet sich meine Hand vor. Streicht über das Laken, verweilt. Bis ich mich weiterwage und seine Fingerspitzen berühre. Sie fühlen sich warm an. Ich räuspere mich. Welche Stimmlage ist angebracht? Wie laut spricht man mit einem Schlafenden?
    »Ich weiß gar nicht, wie ich dich anreden soll. Sie sagen alle, ich soll mit dir reden. Wenn es dich langweilt, hör einfach nicht hin. Hier im Krankenhaus bekam ich keinen Schlaf. Alles war fremd und unruhig. Gestern habe ich mir ein Zimmer gesucht. Nicht weit von hier entfernt. In Horumersiel.«
    Meine Stimme gewinnt langsam an Festigkeit.
    »In Horumersiel habe ich damals meinen ersten Urlaub verbracht. Ich bin mit meiner Freundin gefahren. Elke. Wir waren beide 19 und so brav. Wir haben uns in einer Frühstückspension eingemietet. Nicht direkt in Horumersiel. In Minsen. Beim Deichgrafen haben wir den Mittagstisch abonniert. Wie die Alten. Unser Tagesablauf war immer der gleiche. Wir sind am Strand oder im Watt spazieren gegangen. Stundenlang. Um zehn lagen wir abends in unseren Betten. Zum Einschlafen haben wir eine Kassette gehört. Immer dieselbe. Elke hatte die Musik aufgenommen. Ich kenne noch immer die Reihenfolge der Lieder. Himbeereis zum Frühstück. Und es war Sommer, Tür an Tür mit Alice, und so weiter. Verrückt, nicht wahr? Meiner Mutter habe ich nichts erzählt. Sie hatte sich so über diese Reise gefreut und glaubte, ich würde endlich flügge. Dabei verlebten Rentner wohl aufregendere Urlaubstage als wir. Das hätte sie nie verstanden.«
    Ein Piepton lässt mich verstummen. Er signalisiert eine Störung. Der junge Pfleger und ein Arzt kommen hereingestürmt und laufen, ohne zu zögern, zum Nachbarbett. Ihre Gesichter strahlen Konzentration aus. Trotz der Eile drängen sie den Mann mit erstaunlicher Behutsamkeit beiseite. Er ist alt. Der grüne Kittel wirkt an ihm unwürdig. Er sieht zu mir herüber. Ich starre hartnäckig das Bettlaken an. Nach einem unerträglich langen Augenblick verstummt der Ton. Ich spüre die Erleichterung im Raum. Falscher Alarm. Der Arzt streicht dem alten Mann über den Arm und lässt ihn wieder an das Bett.
    »Mein Zimmer ist klein«, nehme ich im Flüsterton einen neuen Anlauf. »Toilette und Dusche auf dem Flur. Mir gefällt es. Ich kann dort endlich schlafen.«
    Reinhard konnte nicht verstehen, dass mir die großen Räume in unserem Haus Angst machten. Ich konnte sie nie ausfüllen. Ihre Leere wirkte erdrückend. Er hat nur geantwortet, ich hätte doch eine Putzfrau.
    »Meine Wirtin läuft nur barfuß. Und sie hat einen unglaublichen Sammeltick. Das muss man gesehen haben, sonst glaubt man es nicht. Vor allem Teddys. Ich habe noch nie so viele Teddys gesehen. Dabei passt Frau Heinrich gar nicht in diese Plüschwelt. Sie wirkt eher resolut. Sehr erdhaft. Und sehr direkt. Sie setzt sich einfach zu mir an den Frühstückstisch und mir gefällt es sogar.«
    Mein Hals ist trocken. Ich habe das Gefühl, einen ganzen Roman erzählt zu haben. Ein Fenster zum Hinausschauen wäre gut. Einen Moment den Wolken hinterhersehen oder in einer Baumkrone verweilen. Aber auf der Intensivstation gibt es keine Fenster. Sie haben eine Klimaanlage. Man sieht nur die Geräte. Rote und grüne Blinksignale und die sich immer wiederholende Linie auf dem Monitor. Seinen Herzschlag. Weiße Betten. Weiße Vorhänge. Dazwischen ein bisschen Mensch.
    Schwester Maike steht wieder neben mir. Ich habe sie nicht kommen hören.
    »Ich muss Sie leider nach draußen schicken.
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