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Frühling

Frühling

Titel: Frühling
Autoren: Hermann Hesse
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vieljährigem Schweigen vielleicht doch noch einmal nur Künstler, nur Dichter zu sein, und das große und gefährliche Spiel mit einer dichterischen Konzeption zu wagen. Es ist nur ein Spielen, aber es ist frühlingshaft, ist ebenso innig wie unerträglich Sehnsucht weckend, der Gedanke hat beinahe wieder die Kraft und den Zauber, mit welchem einst Italien, Sizilien, Afrika mir rief. Das ist ein ebenso schöner wie gefährlicher Zustand, einer der nicht lange dauern darf, es wäre nicht zu ertragen.
    (Aus einem Brief an Ernst Morgenthaler, 27. April 1950)
    // Jetzt, in den ersten Maitagen und dann wieder im Spätherbst, hat die südliche Berglandschaft ihre schönsten Tage. Den ganzen Sommer hindurch sind alle Hügel und niedrigen Berge mit Wald bedeckt. Das ganze Land ist um diese Zeit grün, grün, grün, und wenn nicht überall die farbigen, blank hervorleuchtenden Dörfer dazwischen lägen und von weitem ein paar Schneeberge in die Landschaft hereinblickten, so wäre es beinahe langweilig. Jetzt dagegen, wo die Kastanien eben erst beginnen Blätter zu bekommen, wo der ganze Wald noch leicht durchsichtigist, wo die letzten wilden Kirschbäume verblühen und die ersten Akazien zu blühen anfangen, jetzt ist der südliche Wald entzückend mit seinem brennend frischen, ins Rötliche spielenden Grün, das noch so dünn und schwebend ist und noch den Himmel und die Sterne und die fernen Gebirge überall hereinblicken läßt.

    König des Waldes ist um diese Zeit der Kuckuck, überall in den stillen einsamen Tälern, auf den sonnigen Waldkuppen, in den schattigen Schluchten hört man seine tiefe Stimme werben. Sein Ruf bedeutet Frühling, sein Lied singt Unsterblichkeit, nicht umsonst ist er es, den man um die Zahl der Lebensjahre fragt. Warm und tief klingt seine Stimme durch die Wälder, sie klingt hier im Alpensüden nicht anders, als sie einst zu meinen Kinderzeiten im Schwarzwald und im Rheintal geklungen hat, nicht anders als sie einst in den Jahren am Bodensee klang, wo meine Söhne sie als Kinder zum erstenmal hörten. Sie ist die gleiche geblieben wie die Sonne, wie der Wald, wie das Grün der jungen Blätter und das Weiß und Violett der ziehenden Maiwolken. Jahr um Jahr ruft der Kuckuck, und niemand weiß, ob es noch der vom vorigen Jahr sei, und was aus den Kuckucken geworden ist, die wir als Kinder, als Knaben, als Jünglinge einst gehört haben. Diese holde tiefe Stimme klang einst wie Verheißung und Zukunft, wie Liebeswerben, wie Sturmruf, dem Glückentgegen, und klingt jetzt wie Vergangenheit; und dem Kuckuck gilt es gleich, ob wir es sind, denen er seine Mahnung zuruft, oder schon unsere Kinder und Enkel, ob er uns mit seinem Schrei in der Wiege weckt oder ob er über unsern Gräbern singt. Selten sieht man ihn, den scheuen Bruder, schon darum liebe ich ihn. Er zeigt sich nicht leicht, er will für sich bleiben. Für die allermeisten Menschen ist der Kuckuck nichts als diese schöne, tiefe, lockende Stimme im Grünen – gehört haben sie ihn viele tausendmal, gesehen haben sie ihn nie. Ich habe gestern ein ganzes Rudel von etwa zwölfjährigen Schulknaben gefragt, ob sie den »Kück« schon gesehen hätten, und bloß ein einziger sagte Ja.
    Ich aber habe ihn oft gesehen, den scheuen Bruder, meinen frohen Waldvetter, der den meisten unsichtbar bleibt, und von dem so entzückend frische und heimatlose Geschichten erzählt werden. Unsichtbar, beherrscht er doch zwei Monate lang den ganzen Wald als König. Ein tönender, herausfordernder Herold der Liebe, hält er von Ehe, Heim und Kinderzucht wenig. Rufe weiter, Bruder Kuckuck, du gehörst zu meinen Lieblingstieren.
    (Aus: »Mai im Kastanienwald«, 1927)
/ FRÜHLING /
(1915)
    Am Waldrand tränen die Knospen,
Gelbe Blumen leuchten im fahlen Grün,
Liebesgezwitscher der Vögel
Taumelt trunken im lichten Gehölz,
Und die Kinder irren
über die Wiesen den Primeln nach,
Singen künftigen Lebens
Wirr geahnte Bedrängnis in lallenden Lauten.
Aber wir Großen
Horchen scharf über den Bergesrand,
Wo der fernen Geschütze Feuer
Schwach und dumpf wie sterbender Pulsschlag zuckt.
    Einmal wird Friede sein!
Einmal werden wir mit den Kindern
Kränze tragen zum ernsten Fest,
Kränze auf unvergessene Gräber,
Kränze zur Heimkehr denen,
Deren gebräunte Stirnen der Tod verschonte.
Kränze werden wir tragen
Und Friede wird sein
Im Geläut festlicher Glocken
Einmal – einmal –, und über die stillen Tausende
Wird sich gütig und lächelnd
Mit den vertieften Augen
Die
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