Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frühling

Frühling

Titel: Frühling
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
ins Herz, und mit fühlender Teilnahme atmete er die Gerüche der drängenden Jahreszeit, spürte witternd ihre gespannte Bereitschaft und das süße, knospende Erwartungsfieber ungeduldiger Keime.
    Die Welt ist kleiner geworden, dachte er mit einem Schein von Lächeln.
    (Aus: »Das Haus der Träume«, 1914)
/ FRÜHLINGSTAG /
    Wind im Gesträuch und Vogelpfiff
Und hoch im höchsten süßen Blau
Ein stilles, stolzes Wolkenschiff …
Ich träume von einer blonden Frau,
Ich träume von meiner Jugendzeit,
Der hohe Himmel blau und weit
Ist meiner Sehnsucht Wiege,
Darin ich stillgesinnt
Und selig warm
Mit leisem Summen liege,
So wie in seiner Mutter Arm
Ein Kind.
    // Ich stand auf einem der Felshügel über meiner kleinen Heimatstadt, es roch nach Tauwind und ersten Veilchen, aus dem Städtchen blitzte der Fluß herauf und die Fenster meines Vaterhauses, und das alles blickte, klang und roch so rauschend voll, so neu und schöpfungstrunken, strahlte so farbentief und wehte im Frühlingswinde so überwirklich und verklärt, wie ich einst in den vollsten, dichterischen Stunden meiner ersten Jugend die Welt gesehen hatte. Ich stand auf dem Hügel, der Wind strich mir durchs lange Haar; mit irrender Hand, in träumerische Liebessehnsucht verloren, riß ich vom eben ergrünenden Gebüsch eine junge halboffne Blattknospe, hielt sie vors Auge, roch an ihr (und schon bei diesem Geruch fiel alles von damals mir wieder glühend ein), dann faßte ich das kleine grüne Ding spielend mit den Lippen, die noch immer kein Mädchen geküßt hatten, und begann es zu kauen. Und bei diesem herben, aromatisch bitteren Geschmack wußte ich plötzlich genau, was ich erlebe, alles war wieder da. Ich erlebte eine Stunde aus meinem letzten Knabenjahr wieder, einen Sonntagnachmittag im ersten Frühling, jenen Tag, an dem ich auf meinem einsamen Spaziergang die Rosa Kreisler angetroffen, und sie so schüchtern gegrüßt, und mich so betäubend in sie verliebt hatte.
    Damals hatte ich dem schönen Mädchen, das allein und träumerisch bergaufwärts gegangen kam und mich noch nicht sah, voll banger Erwartung entgegengesehen, hatte ihr Haar gesehen, das in dicken Zöpfen aufgebunden war und doch noch zu beiden Seiten der Wangen offne Strähnen hatte, die im Winde spielten und flossen. Ich hatte gesehen, zum erstenmal in meinem Leben, wie schön dies Mädchen war, wie schön und traumhaft dies Spiel des Windes in ihrem zarten Haar, wie schön und sehnsuchtweckend der Fall ihres dünnen blauen Kleides über die jungen Glieder hinab, und ebenso, wie mich mit dem bitter-würzigen Geschmack der zerkauten Knospe die ganzebange süße Lust und Angst des Frühlings durchtränkte, so erfüllte mich beim Anblick des Mädchens die ganze tödliche Ahnung der Liebe, die Ahnung vom Weibe, das erschütternde Vorgefühl ungeheurer Möglichkeiten und Versprechungen, namenloser Wonnen, unausdenklicher Verwirrungen, Ängste und Leiden, innigster Erlösung und tiefster Schuld. O wie brannte der bittre Frühlingsgeschmack auf meiner Zunge! O wie strömte der spielende Wind durch das lose Haar neben ihren roten Wangen! Dann war sie mir nahe gekommen, hatte aufgeblickt und mich erkannt, war einen Augenblick schwach errötet und hatte beiseite geblickt; dann grüßte ich sie, mit gezogenem Konfirmandenhut, und Rosa, alsbald gefaßt, grüßte lächelnd und ein wenig damenhaft zurück, erhobenen Gesichts, und ging langsam, sicher und überlegen weiter, umsponnen von tausend Liebeswünschen, Forderungen und Huldigungen, die ich ihr nachsandte.
    So war es einst gewesen, an einem Sonntag vor fünfunddreißig Jahren, und alles Damalige war in diesem Augenblick wiedergekehrt: Hügel und Stadt, Märzwind und Knospengeruch, Rosa und ihr braunes Haar, aufschwellende Sehnsucht und süße würgende Angst. Alles war wie damals, und mir schien, ich habe niemals mehr in meinem Leben so geliebt, wie ich damals Rosa liebte.
    (Aus: »Der Steppenwolf«, 1927)
/ LIEBESLIED /
(Mai 1922)
    Ich wollt ich wär eine Blume,
Du kämest still gegangen,
Nähmst mich zum Eigentume
In deine Hand gefangen.
Auch wär ich gern ein roter Wein
Und flösse süß durch deinen Mund
Und ganz und gar in dich hinein
Und machte dich und mich gesund.
    // Der ferne braune Wald hat seit wenigen Tagen einen heiteren Schimmer von jungem Grün; am Lettensteg fand ich heute die erste halberschlossene Primelblüte; am feuchten klaren Himmel träumen die sanften Aprilwolken, und die weiten, kaum gepflügten Äcker sind so
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher