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Frühling

Frühling

Titel: Frühling
Autoren: Hermann Hesse
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glänzend braun und breiten sich der lauen Luft so verlangend entgegen, als hätten sie Sehnsucht, zu empfangen und zu treiben und ihre stummen Kräfte in tausend grünen Keimen und aufstrebenden Halmen zu erproben, zu fühlen und wegzuschenken. Alles wartet, alles bereitet sich vor, alles träumt und sproßt in einem feinen, zärtlich drängenden Werdefieber – der Keim der Sonne, die Wolke dem Acker, dasjunge Gras den Lüften entgegen. Von Jahr zu Jahr steh ich um diese Zeit mit Ungeduld und Sehnsucht auf der Lauer, als müßte ein besonderer Augenblick mir das Wunder der Neugeburt erschließen, als müsse es geschehen, daß ich einmal, eine Stunde lang, die Offenbarung der Kraft und der Schönheit ganz sähe und begriffe und miterlebte, wie das Leben lachend aus der Erde springt und junge große Augen zum Licht aufschlägt. Jahr für Jahr auch tönt und duftet das Wunder an mir vorbei, geliebt und angebetet – und unverstanden; es ist da, und ich sah es nicht kommen, ich sah nicht die Hülle des Keimes brechen und den ersten zarten Quell im Lichte zittern. Blumen stehen plötzlich allerorten, Bäume glänzen mit lichtem Laub oder mit schaumig weißer Blust, und Vögel werfen sich jubelnd in schönen Bogen durch die warme Bläue. Das Wunder ist erfüllt, ob ich es auch nicht gesehen habe, Wälder wölben sich, und ferne Gipfel rufen, und es ist Zeit, Stiefel und Tasche, Angelstock und Ruderzeug zu rüsten und sich mit allen Sinnen des jungen Jahres zu freuen, das jedesmal schöner ist, als es jemals war, und das jedesmal eiliger zu schreiten scheint. – Wie lang, wie unerschöpflich lang ist ein Frühling vorzeiten gewesen, als ich noch ein Knabe war!
    (Aus: »Aus Kinderzeiten«, 1903)
/ FRÜHLING /
(1909)
    Seit wir, wilde Knabenhorden,
Uns vergnügten in den Gassen,
Ist doch alles schlecht geworden,
Hat doch alles nachgelassen!
Aber nun in diesen Tagen,
Wo die Maienkäfer surren,
Fängt verlorenes Behagen
Wieder in mir an zu schnurren.
Enzian und Kirschenblüte
Zarte blaue Morgenstunden!
Da erholt sich das Gemüte
Frohbewegt von allen Wunden.
Nur die alte Knabenfeindschaft
Allen Mädchen gegenüber
Ist für alle Zeit vorüber –
Ja, sie ward zu lauter Freundschaft.
    // Heut vor Tisch habe ich einen kleinen Spaziergang gemacht, so einen lächerlichen städtischen Normalspaziergang, an den Kai, ein Stück weit durch die Anlagen den Zürichsee entlang und bis zu den Vogelkäfigen, wo alledie bunten Vögel zwitschern und sich darüber amüsieren, daß kein Mensch ihre Namen erraten kann, die auf den beigesteckten Bilderkarten so irreführend angegeben sind. Einen hörte ich deutlich vor sich hinsingen:
    O wie gut, daß niemand weiß,
    Daß ich »Blauer Astrild« heiß’!
    Es waren, aus Afrika, kleine hellblaue Märchenvögel da, schillernd wie die kleinen blauen Falter im Sommer im Hochgebirge, wenn sie an einem Rinnsal sitzen und trinken, und in ganzen Wolken auffliegen, wenn man vorübergeht. Bei diesen Vögeln dachte ich an Dich, weil Du sie auch so gern hast, und weil sie alle von Deinen guten, klaren Augen gesehen und geliebt worden sind. Die Sonne schien, doch war der Nordwind kalt, es ist ein Frühling fürs Auge, nicht für die Haut.
    (Aus: »Brief an die Freundin«, 1928)
/ BLUME, BAUM, VOGEL /
    Bist allein im Leeren,
Glühst einsam, Herz,
Grüßt dich am Abgrund
Dunkle Blume Schmerz.
    Reckt seine Äste
Der hohe Baum Leid,
Singt in den Zweigen
Vogel Ewigkeit.
    Blume Schmerz ist schweigsam,
Findet kein Wort,
Der Baum wächst bis in die Wolken,
Und der Vogel singt immerfort.
    // Heute, am 27. April, ließ der erste Kuckuck sich hören. Es klingt jedes Jahr schöner und unbegreiflicher. Was der Steppenwolf in New Jersey beim Lesen des »Demian« empfindet und hundertmal mehr und Differenzierteres, empfinde ich bei diesem Ruf, denn er bedeutet nicht nur Frühling (der für alte kranke Leute eher eine Tortur ist), er singt nicht nur Liebe und Schöpfungszauber, er ruft mir außerdem siebzig andere Frühlinge ins Gedächtnis, und die siebzig sich langsam ändernden Nuancen und Bedeutungen, die diese Vogelstimme für mich gehabt hat. Heute ist es nicht mehr wie in jungen Jahren die Wandersucht, das unsinnige Verlangen, alles wegzuwerfen und fortzulaufen, südwärts, über die Alpen, durch Italien, nach Sizilien, nach Afrika, nach Indien. Eher ist das, wasmir heute der Kuckuck und der Frühling zuruft, eine Erinnerung und Mahnung an den Zustand des Schaffenden, ein heimliches Spielen mit dem Gedanken, nach
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