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Frühling

Frühling

Titel: Frühling
Autoren: Hermann Hesse
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Mädchenschule gegenüber. Die Klasse der etwa Zehnjährigen hatte auf dieser Seite ihren Spielplatz. Ich hatte tüchtig zu arbeiten und litt jeweils auch unter dem Lärm der spielenden Kinder, aber wieviel Freude und Lebenslust ein einziger Blick auf diesen Spielplatz mir gewährte, ist nicht zu sagen. Diese farbigen Kleider, diese lebhaften, lustigen Augen, diese schlanken, kräftigen Bewegungen erhöhten in mir die Lust am Leben. Eine Reitschule oder ein Hühnerhof hätte mir vielleicht ähnliche Dienste getan. Wer die Wirkungen des Lichtes auf einer einfarbigen Fläche, etwa einer Hauswand, einmal beobachtet hat, der weiß, wie genügsam und genußfähig das Auge ist.
    Wir wollen uns mit diesen Beispielen begnügen. Manchem Leser sind gewiß schon viele andere kleine Freuden eingefallen, etwa die besonders herrliche des Riechens an einer Blume oder an einer Frucht, des Horchens auf die eigene und auf fremde Stimmen, des Belauschens von Kindergesprächen. Auch das Summen oder Pfeifen einer Melodie gehört hierher und tausend andere Kleinigkeiten, aus denen man eine helle Kette von kleinen Genüssen in sein Leben flechten kann.
    Jeden Tag so viel nur möglich von den kleinen Freuden erleben und die größeren, anstrengenden Genüsse sparsam auf Ferientage und gute Stunden verteilen, das ist,was ich jedem raten möchte, der an Zeitmangel und Unlust leidet. Zur Erholung vor allem, zur täglichen Erlösung und Entlastung sind uns die kleinen, nicht die großen Freuden gegeben.
    (1899)
/ WOLKEN /
    Wolken, leise Schiffe, fahren
über mir und rühren mich
Mit den zarten, wunderbaren
Farbenschleiern wunderlich.
    Aus der blauen Luft entquollen,
Eine farbig schöne Welt,
Die mich mit geheimnisvollen
Reizen oft gefangenhält.
    Leichte, lichte, klare Schäume,
Alles Irdischen befreit,
Ob ihr schöne Heimwehträume
Der befleckten Erde seid?
    // Der Frühling ist mein Freund nicht, ich gehöre zu jenen alten Leuten, denen er stets vermehrte Not bringt, aber unendlich schön ist er dennoch wieder.
    (Aus einem Brief an Barthold Hesse, März 1953)
    // Der Frühling ist nicht meine Jahreszeit, und mit dem Älterwerden wird er immer unangenehmer. Spaßes halber schrieb ich mir neulich auf:
    Jedes Kind weiß, was der Frühling spricht:
Lebe, wachse, blühe, hoffe, liebe,
Freue dich und treibe neue Triebe,
Gib dich hin und fürcht’ das Leben nicht!
    Jeder Greis weiß, was der Frühling spricht:
Väterchen, laß dich begraben,
Räume deinen Platz den muntern Knaben,
Gib dich hin und fürcht’ das Sterben nicht!
    (Aus einem Brief an Alfred Kubin, Ende März 1932)
/ AUCH DIE BLUMEN /
    Auch die Blumen leiden den Tod,
Die doch ohne Schuld sind.
So auch ist unser Wesen rein
Und leidet nur Schmerz,
Wo es sich selber nicht mag verstehn.
Was wir Schuld genannt,
Ist von der Sonne aufgesogen,
Kommt längst aus reinen Kelchen der Blumen
Uns entgegen als Duft und rührender Kinderblick.
    Und wie die Blumen sterben,
So sterben auch wir
Nur den Tod der Erlösung,
Nur den Tod der Wiedergeburt.
/ IM FRÜHLING 1915 /
    Manchmal seh ich unsre Zeit so hell
Wie ein Auge aufgetan,
Aus zerschlagnem Wahn
Seh ich stürzen Quell um Quell,
Und von seinem Kreuz gestiegen
Den Erlöser groß und bleich
über allen Kriegen
Predigen der Liebe ewiges Reich.
Manchmal seh ich nichts als schwarzen Haß,
Menschenleiber wutverbissen,
Schwache Seelen ohne Maß
In Verbrechen hingerissen,
Leid aus hohlen Augen stierend,
Und der arme Gott der Liebe irrt,
Ehe alles dunkel wird,
übers Blutfeld bang und frierend.
Aber neue Blumen bringt
Unsre Wiese jeden Tag,
Amselschlag
Aus der Ulme süß und trunken schwingt,
Und die Welt weiß nichts von Morden,
Und die Welt ist Kind geworden,
Daß wir mit beklommenem Atem stehen
Und im duftend lauen Wehen
Angst und Leid und Tod nicht mehr verstehen.
    // Es sieht finster aus in der Welt, aber es wird doch Frühling, und die ewige Heiterkeit lacht aus jeder Blume.
    (Aus einem Brief an Baronin Hennett, März 1941)
    // Der Frühling will überstanden sein; er ist für Alternde die gefährlichste Jahreszeit.
    (Aus einem Brief an Friedrich Michael, Mitte März 1935)
    // Am Himmel kann man zu manchen Stunden geschrieben lesen, daß bald der Frühling kommt, es schwimmt dann dort oben zwischen dem formlosen Graugewölk ein schüchternes unirdisches Blau, ein gefährlicher und wunderbarer Anblick, der den jungen Menschen das Herz in der Brust umdreht und uns Alten bitter bange macht. Man liebt den Frühling nicht, wenn man alt wird. Man spürt mit
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