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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht
Autoren: Arnaldur Indridason
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Selbstvertrauen verfügen. Und womöglich unter Verwahrlosung und Vernachlässigung gelitten haben.«
    »Was ist mit dem Bruder, lebt er schon lange hier?«
    »Ja, seit ein paar Jahren. Er ist ungelernter Arbeiter und hat erst in Nordisland gearbeitet, in Akureyri, er lebt aber seit Kurzem in Reykjavík.«
    »Und die beiden haben ein gutes Verhältnis zueinander?«
    »Ja, ein sehr gutes.«
    »Was kannst du mir sonst noch über Sunee sagen?«
    »Sie ist vor rund zehn Jahren nach Island gekommen«, sagte Guðný, »und sie fühlt sich sehr wohl hier.«
    Sunee hatte ihr einmal erzählt, dass sie ihren Augen nicht getraut hätte, wie kahl und kalt dieses Land war, als sie mit dem Zubringerbus von Keflavík nach Reykjavík fuhr. Als sie aus dem Flughafengebäude kam, empfand sie die Polarluft wie eine kalte Mauer. Es hatte geregnet, und der Himmel war schwer verhangen gewesen, sodass sie nur die flache Lavalandschaft und schemenhafte dunkle Berge in der Ferne sah. Sie hatte eine Gänsehaut bekommen, die Temperatur lag bei drei Grad. Es war Mitte Oktober gewesen, und sie war bei dreißig Grad Wärme ins Flugzeug gestiegen.
    Sie heiratete den Isländer, den sie in Bangkok kennengelernt hatte. Er umwarb sie und lud sie immer wieder ein, und er war höflich. Er hatte ihr auf Englisch etwas über Island erzählt, eine Sprache, die sie nicht besonders gut beherrschte. Er schien genug Geld zu haben und kaufte Geschenke für sie, Kleider und Schmuck.
    Als er wieder zurück nach Island musste, beschlossen sie, die Bekanntschaft fortzusetzen. Ihre Freundin, die etwas besser Englisch konnte, korrespondierte für sie mit ihm. Ein halbes Jahr später kam er wieder und blieb drei Wochen, und sie waren die ganze Zeit zusammen. Sie war angetan von ihm und von dem, was er ihr über Island erzählte. Obwohl die Insel klein, abgeschieden und kalt war, lebte dort eine der reichsten Nationen der Erde. Er sagte ihr, was er verdiente, und das war eine schwindelerregend hohe Summe im Vergleich zu dem, was in Bangkok üblich war. Falls sie dorthin zöge und fleißig war, würde sie bestimmt etwas für ihre Familie in Thailand abzweigen können.
    Er trug sie über die Schwelle ihres neuen Zuhauses, einer Zweizimmerwohnung an der Snorrabraut, die ihm gehörte. Vom Hotel Loftleiðir aus, wo die Flughafenbusse hielten, waren sie zu Fuß gegangen. Sie hatten eine breite Ausfallstraße überquert, von der sie später erfuhr, dass sie Miklabraut hieß, und waren dann bei eiskaltem Nordwind die Snorrabraut entlanggegangen. Sie trug thailändische Sommerkleidung, eine dünne, seidene Hose, die er ihr gekauft hatte, eine hübsche Bluse, eine helle Sommerjacke und Sandalen aus Kunststoff. Der Zukünftige hatte sie nicht im Geringsten auf die Ankunft in Island vorbereitet.
    Die Wohnung war schön, nachdem sie Ordnung geschaffen hatte. Sie bekam Arbeit in einer Süßwarenfabrik. Anfangs stimmte alles in ihrer Beziehung, aber das änderte sich, als sich herausstellte, dass beide dem Partner etwas vorgelogen hatten.
    »Inwiefern?«, fragte Erlendur. »Worin bestanden die Lügen?«
    »Er hatte das schon einmal gemacht«, sagte Guðný.
    »Hatte was gemacht?«
    »Sich eine Frau aus Thailand besorgt.«
    »Hatte er das schon einmal getan?«
    »Manche Männer noch öfter.«
    »Und ist das … ist das legal?«
    »Es ist nicht verboten.«
    »Aber was war mit Sunee? Was hat sie ihm vorgelogen?«
    »Als sie schon ein paar Jahre zusammengelebt hatten, hat sie ihren Sohn nachkommen lassen.«
    Erlendur sah die Dolmetscherin an.
    »Es stellte sich heraus, dass sie einen Sohn in Thailand besaß, von dem sie ihm nie erzählt hatte.«
    »Das ist wohl Niran?«
    »Ja, Niran. Er hat zwar auch einen isländischen Namen, aber er will Niran heißen und wird auch von allen so genannt.«
    »Er ist also ein …«
    »Halbbruder von Elías. Er ist Thailänder durch und durch und hat sich sehr schwer damit getan, hier Fuß zu fassen, wie so viele Kinder in einer solchen Situation.«
    »Und Sunees Mann?«
    »Sie haben sich zum Schluss scheiden lassen.«
    »Niran«, sagte Erlendur zu sich selbst, wie um den Klang des Namens zu hören. »Bedeutet das etwas?«
    »Es bedeutet ›ewig‹«, entgegnete Guðný.
    »Ewig?«
    »Thailändische Namen können genau wie die isländischen eine Bedeutung haben.«
    »Und was bedeutet dann Sunee?«
    »Etwas Gutes«, sagte Guðný. »Eine gute Sache.«
    »Hatte Elías auch einen thailändischen Namen?«
    »Ja, Aran. Ich bin mir aber nicht sicher, was das
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