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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht
Autoren: Arnaldur Indridason
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müssen …«
    »Was sagst du da?«, sagte der Schulleiter mit gepresster Stimme, und Sigurður Óli sah, dass er bleich wurde.
    »… mit seinen Klassenkameraden reden, mit den Angestellten der Schule und anderen, die ihn kannten. Wir gehen davon aus, dass er ermordet wurde. Er erhielt einen Messerstich in den Bauch.«
    Die Hausmeisterin war Sigurður Óli ins Büro des Rektors gefolgt. Sie stand in der Tür und sog hörbar den Atem ein, wobei sie sich unwillkürlich die Hand vor den Mund hielt und den Kriminalbeamten anstarrte, als würde sie ihren eigenen Ohren nicht trauen.
    »Der Junge hat eine thailändische Mutter«, fuhr Sigurður Óli fort. »Gibt es viele solche Kinder in der Schule?«
    »Viele solche …?«, sagte der Rektor und sank langsam auf seinen Stuhl. Er ging auf die siebzig zu und war sein ganzes Leben an der Schule gewesen, freute sich aber jetzt darauf, in Pension gehen zu können. Seine ungläubige Miene verriet, dass er überhaupt nicht begriff, was vorging.
    »Um wen handelt es sich?«, fragte die Hausmeisterin, die hinter Sigurður Óli stand. »Ist er tot?«
    Sigurður Óli drehte sich um. »Entschuldige, aber wir unterhalten uns vielleicht später«, sagte er und machte ihr die Tür vor der Nase zu.
    »Ich brauche die Klassenverzeichnisse mit den Adressen und den Namen der Eltern«, sagte er, während die Tür ins Schloss fiel und er sich wieder zu dem Schulleiter umdrehte. »Ich brauche eine Liste sämtlicher Lehrer des Jungen. Ich brauche Informationen über irgendwelche Auseinandersetzungen hier in der Schule, über Cliquen, falls es welche gibt, über den Umgang zwischen den Kindern unterschiedlicher Abstammung und unterschiedlicher Hautfarbe, über alles, was erklären kann, wieso es zu so etwas kommen konnte. Fällt dir in diesem Zusammenhang spontan etwas ein?«
    »Mir … mir fällt gar nichts ein, ich kann gar nicht glauben, was du da sagst! Stimmt das wirklich? Das kann doch gar nicht wahr sein!«
    »Leider doch. Aber hier ist Eile geboten. Je mehr Zeit verstreicht …«
    »Um welchen Jungen handelt es sich?«, fiel ihm der Schulleiter ins Wort.
    Sigurður Óli sagte ihm Elías’ Namen. Der Rektor setzte sich an seinen Computer, rief die Homepage auf, dann die Klasse und ein Foto des Jungen.
    »Früher kannte ich jedes Kind mit Namen, aber jetzt sind es so viele. Ist er das?«
    »Ja, das ist er«, bestätigte Sigurður Óli, der das Foto betrachtete. Als er den Rektor nach Elías’ Bruder fragte, suchte er nach dessen Klasse und einem Bild von Niran. Sie waren sich nicht unähnlich, die beiden Brüder, beide hatten pechschwarzes Haar, das ihnen bis in die Augen hing, einen dunklen Teint und braune Augen. Sie schickten eine Mail an die Polizei mit Nirans Bild als Attachment. Sigurður Óli rief im Dezernat an und gab Anweisung, das Foto mitsamt dem, das Erlendur geschickt hatte, in den Verteiler zu geben.
    »Hat es hier in der Schule Auseinandersetzungen zwischen irgendwelchen Gruppen gegeben?«, fragte Sigurður Óli, nachdem er das Gespräch beendet hatte.
    »Geht ihr davon aus, dass es etwas mit der Schule zu tun hat?«, fragte der Rektor, ohne die Augen vom Bildschirm abzuwenden. Elías’ Bild füllte ihn aus und lächelte sie schüchtern an. Er blickte nicht direkt in die Kamera, sondern etwas mehr nach oben, als hätte der Fotograf ihm gesagt, er solle hochschauen, oder als sei er durch irgendetwas abgelenkt worden. Er hatte eine hohe Stirn, einen freimütigen Blick und fragende, offenherzige Augen.
    »Wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen«, sagte Sigurður Óli. »Etwas anderes kann ich nicht sagen.«
    »Hat das etwas mit Rassismus zu tun? Was hast du eben gesagt?«
    »Nichts anderes, als dass die Mutter des Jungen aus Thailand kommt«, sagte Sigurður Óli. »Nichts anderes. Wir wissen nicht, was vorgefallen ist.«
    Sigurður Óli war froh, dass der Rektor sich offensichtlich nicht an ihn als Schüler erinnern konnte. Er war entschlossen, sich auf kein Gespräch über alte Zeiten, alte Pauker oder darüber, was aus den anderen in der Klasse geworden war, und anderen Quatsch dieser Art einzulassen.
    »Bei mir ist nichts auf dem Schreibtisch gelandet«, sagte der Rektor, »oder zumindest nichts Ernstes, und es ist völlig absurd, dass daraus dieses schreckliche Ereignis resultieren könnte. Ich kann einfach nicht glauben, dass so etwas geschehen ist!«
    »Das wirst du wohl müssen«, sagte Sigurður Óli.
    Der Rektor druckte eine Liste mit den Namen von
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