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Fromme Wünsche

Fromme Wünsche

Titel: Fromme Wünsche
Autoren: Sara Paretzky
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Plouder begrüßte, schien der gleichen Ansicht zu sein. „Ich
weiß noch, daß ich dich robust und ulkig fand, Vic, aber ich hatte ganz
vergessen, wie attraktiv du bist.“
    Wenn man überschlanke Typen mag, sah Ferrant auch
nicht gerade schlecht aus. Das dunkle, sorgfältig gekämmte Haar fiel ihm bei
unserer stürmischen Umarmung über die Augen. Er strich es mit einer für ihn
typischen Bewegung zurück.
    Ich fragte, was ihn nach Chicago geführt hatte.
    „Verhandlungen mit der Ajax-Versicherung, was
sonst.“ Ich folgte ihm in das modern und - für meine Begriffe - geschmacklos
eingerichtete Wohnzimmer. „Gräßlich, nicht?“ meinte er aufgekratzt. „Wenn ich
länger als einen Monat hierbleiben muß, beantrage ich eine eigene Wohnung -
oder zumindest eigene Möbel.“
    „Du mußt ja in London reichlich unbeliebt sein, wenn
sie dich im Januar nach Chicago schicken. Falls sich die Sache auch noch den
ganzen Februar hinziehen sollte, dürfte dir wohl klar sein, daß du auf der
Abschußliste stehst.“
    Er verzog das Gesicht. „Ich war schon mal im Winter
hier. Wahrscheinlich ist der Winter daran schuld, daß ihr Amerikanerinnen so
zäh seid. Sind auf der South Side alle so hartgesotten wie du?“
    „Schlimmer. Aber sie verstecken sich hinter ihrem
sanften Getue. Erst wenn du aus der Ohnmacht erwachst, kriegst du mit, daß man
dir eine verpaßt hat.“
    Ich saß am Ende der orangefarbenen Couch. Er zog
sich einen der Chromstühle heran, nachdem er mir einen Scotch eingeschenkt
hatte. Die Haarsträhne fiel ihm schon wieder ins Gesicht. Er setzte mir
auseinander, daß seine Firma mit drei Prozent an der Ajax beteiligt war. „Wir
sind zwar keine Großaktionäre, aber wir mischen immer mit. Unsere Neuen werden
zur Ausbildung hergeschickt, und im Gegenzug führen wir die Ajax-Leute auf dem
Londoner Markt ein. Ich habe auch mal zu den Neuen gehört.“ Wie viele andere im
englischen Versicherungswesen hatte auch Ferrant gleich nach dem mittleren
Schulabschluß in der Branche begonnen, so daß er mit siebenunddreißig bereits
ein alter Hase im Versicherungsgeschäft war.
    „Damit du dich nicht wunderst: Ich bin kommissarisch
zu einem ziemlich hohen Tier ernannt worden.“ Er grinste. „Bei der Ajax fühlen
sich ein paar auf den Schlips getreten, weil ich verhältnismäßig jung bin. Wer
meine Erfahrung hat, ist im allgemeinen sieben oder acht Jahre älter. Ich
helfe aus, bis sie einen passenden Mann gefunden haben. Mein Vorgänger ist
plötzlich gestorben. Sie brauchen einen Manager, der den Londoner Markt in-
und auswendig kennt.“
    Als er mich nach meiner Arbeit fragte, erzählte ich
ihm von Tante Rosa und den gefälschten Zertifikaten. „Von mir aus könnte man
sie ruhig einsperren. Aber ich fürchte, sie ist nur eine unschuldige
Randfigur.“ Wenngleich wohl keiner, der ihr je begegnet war, auf die Idee
gekommen wäre, sie als unschuldig zu bezeichnen. „Nicht kriminell“ träfe es
vielleicht besser.
    Einen zweiten Scotch lehnte ich dankend ab. Also
zogen wir unsere Mäntel an und wagten uns hinaus in die Winternacht. Eine
steife Brise, die vom See herwehte, blies die Wolken weg und ließ die
Temperatur weiter sinken. Fast im Galopp liefen wir zu einem italienischen
Restaurant vier Querstraßen weiter.
    Das Cafe Firenze lag zwar im Geschäftszentrum, war
aber gemütlich und ohne viel Schnickschnack eingerichtet. „Als ich den Tisch
bestellte, wußte ich noch nicht, daß du eine halbe Italienerin bist. Sonst
hätte ich wohl Hemmungen gehabt“, bekannte Ferrant. „Kennst du das Lokal?
Kochen sie hier echt italienisch?“
    „Kann ich nicht sagen. Ich war noch nie hier. Ich
esse nicht oft in der Gegend. Aber wenn's hier hausgemachte Nudeln gibt, kann
doch nichts schiefgehen.“
    Wir bestellten eine Flasche Ruffino und pasticcini di spinaci. Der Kellner war von unserem Italienisch sehr angetan.
Ferrant hatte häufig seinen Urlaub in Italien verbracht und konnte sich ganz
gut ausdrücken. Er wollte wissen, ob ich meine Verwandten mütterlicherseits
jemals besucht hätte.
    „Nein. Meine Mutter stammt aus Florenz, aber sie war
Halbjüdin. Bei Kriegsausbruch wurde die Familie in alle Winde zerstreut.
Gabriellas Vater war der einzige, der in Florenz zurückblieb. Sie hat ihn ein
einziges Mal besucht, neunzehnhundertfünfundfünfzig, aber es war deprimierend.
Er hatte den Krieg und was damit zusammenhing, nicht verkraftet. Für ihn war
immer noch das Jahr sechsunddreißig und die Familie vereint. Ich glaube,
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