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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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ihm hinüber und sprach ihn mit einem anderen Namen an. Einen Moment lang dachte ich, ich hätte es übertrieben und er werde auf der Stelle tot umfallen. Er rollte mit den Augen und schnappte nach Luft, erstickte fast und benahm sich wie jemand, der eine Herzattacke erleidet. Alle erschraken mächtig. Aber ich hatte den Verdacht, daß er ein wenig dick auftrug, und so flüsterte ich ihm zu: »Wir treffen uns zum Schichtende! Sonst gnade Ihnen Gott!«
    Ich dachte, ich werde ihn verlieren und man werde ihn zum Erste-Hilfe-Raum zerren, von wo aus er sich hinausschleichen könnte. Dann wäre eine Verfolgung ziemlich schwierig. Aber tatsächlich war er überhaupt nicht krank – also jedenfalls hatte er nichts, außer eben der Tuberkulose –, und als er mich ansah und ich ihn angrinste, fiel seine Entscheidung. Er erholte sich.
    Er bedankte sich sogar bei mir, daß ich ihm auf den Rücken geschlagen hatte. Er behauptete, ein Stück seines belegten Brotes sei ihm in die falsche Kehle gekommen …
    Dann war mir klar, daß er kein eigentlicher Verbrecher sein konnte.
    Also schlossen wir einen Pakt. Wie ich Ihnen schon sagte, hielt ich ständig Ausschau – wie jeder vernünftige junge Mann in dieser Zeit der furchtbaren Not – nach Möglichkeiten, noch ein bißchen zusätzliches Geld zusammenzukratzen, und wenn man meinem Chef Glauben schenkte, war meine Zeit bei der Polizei wahrscheinlich sowieso bald zu Ende. Auf jeden Fall hörte das Verschwinden von Paketen auf, die Postler waren glücklich, und obwohl er wütend war, daß keine Verhaftung und keine Gerichtsverhandlung folgte – ich bin immer noch nicht sicher, ob er meine Geschichte glaubte, ich hätte so viele Hinweise über meine wahre Identität ausgestreut, daß ich damit den Schuldigen abschreckte –, erklärte sich mein Chef murrend einverstanden, mich auf Dauer zum CID zu versetzen. Vielleicht wollte er mich auch nur loswerden.
    Und so wurde ich Detektiv. Oh ja! Entschuldigen Sie! Ich kann in Ihren Gesichtern lesen, daß ich eine wichtige Einzelheit vergessen habe: den Namen, mit dem ich Herrn Bland anredete.
    Tja, sehen Sie – bitte verzeihen Sie, falls Sie das aus meinem Buch bereits wissen sollten – meine Eltern wollten immer etwas angeben, und wenn sie für mich eine Geburtstagsfeier veranstalteten, engagierten sie oft einen Zauberer, denn das war damals groß in Mode, und einer davon nannte sich der ›Große Blandini‹. Doch es gab nicht mehr viel Geld, sowohl für private Engagements wie auch bei den großen Sälen, und er war außerdem zu krank, um vieles Reisen zu vertragen. Übrigens starb er im darauffolgenden Frühling. Die Ärzte hatten es ihm vorhergesagt, ganz klar, und so jobte er bei der Post und … Er arbeitete jedoch bis nach Weihnachten weiter und brachte mir zum Dank alles bei, was ich in den nächsten paar Monaten lernen konnte. Und, wie ich schon sagte, hörte das Verschwinden von Paketen auf, und das war ja der Zweck der Übung gewesen. Man sagte mir, der Club habe einen exzellenten Armagnac. Ich frage mich, ob ich nicht einen Tropfen probieren sollte.
     
    Eine Weile lang waren wir alle still – besonders ich, da Raws magisches Geschick sogar in der umfangreichen Originalversion seines Buchs kaum eine Rolle gespielt hatte, geschweige denn eine solch subtile und faszinierende Erklärung dafür, und natürlich war das auch in der gekürzten Zeitungsserie nicht erwähnt worden und die war es ja, da konnte ich sichergehen, die von den meisten meiner Kollegen gelesen worden war.
    Dann quäkte Waterman (ich hätte es vorhersagen können) los: »Ich verstehe das nicht! Sie haben uns ja nicht einmal die Hälfte erzählt!«
    Aus den Augenwinkeln sah ich, wie der Autor, der seine Zigarre ausgedrückt hatte, die Achseln zuckte und sich anschickte, zu gehen. Ich gab ihm die Bestnote, weil er es nicht für nötig hatte, daß man ihm den Rest erklärte, obwohl es vielleicht ein klein bißchen arrogant von ihm war, nicht zu bleiben und zu beobachten, wie sich Raw der Herausforderung stellte. Ich glaube, wir anderen hofften so halb, er werde es als Grund benützen, noch einen Zaubertrick vorzuführen.
    Das tat er nicht. Es war klar, daß die Sache für ihn zu ernst war. Er lehnte sich lediglich in seinen Stuhl zurück und seufzte.
    »Also gut, da Sie ja offensichtlich die Pointe verpaßt haben. Sie!« Und zu meinem Unglück deutete er auf mich.
    Ich liebe die Öffentlichkeit nicht gerade. »Sie werden es ihm sagen!«
    »Ah …« Ich stotterte

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