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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest!
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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geschrieben: »Für Chris. Dies ist ein ganz besonderes Geschenk. Offne es erst, wenn du es wirklich brauchst.«
    Na ja, beinahe hätte ich die Verpackung auf der Stelle aufgerissen, aber dann zögerte ich doch. Ich hatte noch nie ein Geschenk mit einer solchen Anmerkung erhalten. Wer mir auch immer dieses Geschenk geschickt hatte, hatte nicht unterschrieben.
    Öffne es erst, wenn du es wirklich brauchst. Und was soll das heißen? fragte ich mich. Wie konnte ich wissen, ob ich es brauchte, wenn ich nicht sehen konnte, was es war?
    Mammi und Paps behaupteten, sie wüßten von nichts. Ich schüttelte es, konnte aber kein Geräusch drinnen hören. Es war leicht und kurze Zeit glaubte ich, jemand habe mir einfach eine in hübsches Papier gehüllte leere Schachtel geschickt.
    Doch das würde niemand tun. Was für einen Sinn sollte das ergeben?
    Ich schaute es stundenlang an. Ich hielt es – erfolglos – gegen das Licht. Schließlich legte ich das Geschenk auf meinen Nachttisch, als ich mein Abendgebet sprach, und entschied, daß ich es wirklich noch nicht brauchte und morgen war ja auch noch ein Tag.
    Mein Geburtstag war am 26. Dezember. Mammi und Paps gaben mir eine Faltkarte mit zehn Dollars drin. Das war nett, aber ich hatte halt nie einen richtigen Geburtstag wie alle meine Freunde. Er verlor sich immer im Schatten des Weihnachtsfestes.
    Beinahe hätte ich an diesem Tag die kleine Schachtel geöffnet. Tante Michelle kam zum Essen mit einem Mann zu uns, den ich nie zuvor und seither auch nie mehr gesehen habe. Sein Name war Pete Soundso, und er gefiel mir nicht. Mit unserem übriggebliebenen Truthahnbraten und Füllung im Mund sagte er mir, daß ich das Geschenk öffnen solle. Während er sprach, fielen ihm Fleischkrümel aus dem Mund in seinen Bart.
    »Später«, sagte ich kalt. »Ich werde es öffnen, wenn ich es brauche.« Ich hätte es vielleicht geöffnet, wenn mich Tante Michelle darum gebeten hätte. Aber nicht ein Schwein wie er.
    Der Schnee schmolz und Mammis Osterglocken blühten im Hinterhof, die letzten Schneebälle wurden geworfen und schließlich begannen wir Kinder, uns auf die Sommerferien zu freuen. Neben Weihnachten war der letzte Schultag der wichtigste Tag im Jahr.
    Alle paar Tage oder Wochen nahm ich mein Geschenk in die Hand und fragte mich, woher es kam. Ich hatte eine Menge Onkel und Tanten, die ich kaum jemals sah. Vielleicht hatte einer von ihnen das Päckchen geschickt? Ich konnte mir nichts anderes vorstellen, außer vielleicht den Weihnachtsmann. Bei dem Gedanken mußte ich lächeln.
    »Nein«, sagte ich eines Tages. »Es ist von Mammi und Paps.« Es konnte einfach von niemandem anders sein, und ich war zufrieden, daß ich herausgefunden hatte, von wem es war, auch wenn ich deshalb noch lange nicht wußte, was es war.
    Als ich zwei Jahre später zwölf wurde, war das Geschenk in der untersten Schublade meiner Schlafzimmerkommode verstaut und wartete darauf, daß ich es benötigen würde.
    Aber das war vor einem Vierteljahrhundert. Wo hatte dieses kleine Geschenk seither gesteckt?
    Ein schwacher Laut ertönte von der Straße unterhalb meiner Wohnung her und riß mich aus meinen Gedanken an vergangene Weihnachten. Ein paar verdammte Kinder sangen Weihnachtslieder. Jingle Bells. Ich zog die Vorhänge zu, und das half, den Lärm zu dämpfen.
    Ich begann mit dem Kreuzworträtsel in der Times, aber auch das langweilte mich schnell. Wo steckte diese kleine Schachtel? fragte ich mich. Im hinteren Schlafzimmer lagen einige Kartons, darin befand sich alles, was noch aus Mammis und Paps’ Haus übrig war, nachdem sie gestorben waren. Nur die Möbel hatte ich verkauft. Ich hatte noch nie in die Kartons geschaut.
    Ich goß mir noch einen Kaffee ein und ging hinüber, um die Kartons zu öffnen. Ich lächelte, denn ich fühlte eine leichte Erregung in mir aufsteigen – ich öffnete am Weihnachtsmorgen Pakete!
    Der erste Karton steckte voll mit ganz kleinen Puppen und Zierrat. Die haben bestimmt Mammi gehört, sagte ich mir. Komisch, ich konnte mich gar nicht an die Sachen erinnern. Mary hätten sie ganz sicher gefallen, und ich fragte mich, ob sie heute morgen auch an mich dachten, so wie ich an sie.
    Die meisten Kartons steckten voll mit Papieren. Alle möglichen Sachen: Hypothekenverschreibungen, Versicherungspolicen, alte Briefe, sogar ein paar Einkaufslisten, auf denen die einzelnen Posten abgehakt waren.
    Natürlich erschien das Geschenk ganz unten im allerletzten Karton und ich fand es, nachdem
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