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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten
Autoren: Oliver Hassencamp
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Die Mutter saß wieder im Flugzeug; beim Auf tauen von Fleisch für ein Versöhnungsessen war ihm die Idee gekommen...
    Jetzt unterlag sie. Ihrer Schwäche für schwarzen Humor. Sie sank an seine blutverschmierte Wange. Peter tat wieder alles für seine Ursula und damit für die Schaubude.
    Das Theater war auf jede nur erdenkliche Hilfe angewiesen. Im eisigen Winter 46/47 konnte auf der Bühne nicht probiert werden. Die Abendvorstellungen genügten vollauf, sämtliche Bronchien labil zu halten. Ständige Auseinandersetzungen mit dem Besitzer, der die leichte Muse aus seinem katholischen Haus verbannen wollte, ließen es zudem angeraten sein, ihm den Anblick des frivolen Künstlervölkchens bei Tageslicht zu ersparen. Nun sollte im neuen Programm der noch unbekannte Gert Fröbe mitwirken. Sein Engagement erwies sich gleich zu Beginn der Probenzeit als Glücksfall. Der zaundürre spätere Otto Normalverbraucher war nämlich nebenbei ein begabter Amateurmaler. Mit seinem Pinsel hatte er es geschafft, die Frau eines Kohlenhändlers auf die damals viel wichtigere vertikale Leinwand zu bringen und sie dort für immer festzuhalten. Dankbar entlohnte ihn die Geschönte mit Briketts.
    Der Vielseitige wohnte am Max-II-Denkmal, im Haus über der Kleinen Komödie, dem ersten Münchner Boulevardtheater. Selbstverständlich stellte er sein friedensmäßig geheiztes Zimmer als Probebühne zur Verfügung. Hier traf sich das Ensemble fortan jeden Morgen. Da die Treppe dank einer Luftmine zu großen Teilen fehlte, mußte man über Balken und Abgründe hinaufklettern bis unter ein Dach, das den Komplex bedeckte wie ein Faschingshütchen mit Gummiband. Hier befand sich unter standhaft gebliebenen Ziegeln der mollig warme Proberaum. Gleichzeitig auch Anproberaum und Musikzimmer.
    Während in einer Ecke ein Sketch gelesen und in albernster Laune mundgerecht gemacht wurde, stand vor dem Ofen eine halbnackte Kollegin. An ihr plagte sich die Modeschöpferin Bessie Becker damit, Stoffreste zu Bühnenchic zusammenzufügen.
    Hart wie scharfe Pingpongbälle klapperte über beide hinweg ein Dialog auf Rufweite. Am Fenster sang Edmund Nick Ursula Herking seine Melodie zu ihrem neuesten Chanson ins Ohr, auf daß es drinbleibe. Statt des Klaviers hatte er das absolute Gehör dabei. Die Tonart mußte ja stimmen.
    Konzentration war reine Nervensache. Ensembleszenen, die Platz brauchten wie Kästners legendäres Ringelspiel, wurden draußen im Oben-ohne-Teil des Dachbodens einstudiert. Vermummt, mit Thermosflaschen in der Hand, hielten die Darsteller ihre künstlerische Temperatur aufrecht, während Regisseur Schündler Mühe hatte, im dichten Atemnebel Mienenspiele zu prüfen.
    Als das Programm stand und alle jenes gute Gefühl hatten, das man abergläubischerweise nicht aussprechen darf, gab es einen Riesenkrach. Gert Fröbe stieg aus, in aller Eile mußte umgestellt werden. Es blieb nicht einmal Zeit, nach Schuld zu suchen, was auch unökonomisch gewesen wäre, die Nerven flatterten schon genug so kurz vor der Premiere.
    Und es klappte, versteht sich. Applaus streichelte die Geschundenen. Woher der einzelne die Kraft nahm, blieb ihm selber rätselhaft. Reserven können es nicht gewesen sein, die hatte keiner mehr.
    Im Grunde gab’s nur noch Haltung und die gebietet, daß man nicht über sie spricht. Wie Alexander Hunzinger, ein Komiker, dem es erbärmlich schlecht ging. Sein Talent als Feinschmecker versagte bei der Beschaffung des fein zu Schmeckenden völlig. Da nahm sich ein Schulkamerad aus Hamburger Tagen seiner an: Axel von Ambesser, der für die Schaubude Texte schrieb, lud ihn zum Mittagessen ein, damals eine Tat, die heute einer Gehaltserhöhung gleichkommt.
    Inge von Österreich, Axels Frau, schonte weder Beine noch Scheine, um auf einem Rundgang zu verschiedenen Schwarzhändlern alles für ein friedensmäßiges Essen Erforderliche zusammenzutragen.
    Schulfreund Alexander fühlte sich gerührt-geehrt. Er bedurfte dringend dieser Vitaminspritze. Am Morgen des Sättigungstages rief er an. Nicht um sich zu vergewissern, ob es auch dabei bleibe. Etwas anderes machte ihm zu schaffen. Das Ensemble — so sagte er — habe beschlossen, heute Holz für die Öfen in den beiden Garderoben zu sammeln. Alle würden mithelfen, es sollte bis in den Nachmittag dauern. Man möge ihn bitte verstehen, daß er da nicht fernbleiben und sich den Magen vollschlagen könne.
    Solcher Ensemblegeist hat Strahlkraft. Sie kam am Abend über die Rampe, gab den
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