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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten
Autoren: Oliver Hassencamp
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heimlich mit Naturalien und Geld. Eines Tages war das Notquartier leer.
    Hier endete der Bericht. Ob er die Umsiedlung selbst miterlebt hatte oder ein Verwandter, ließ der Mann offen.
    Freund Schusch ersparte ihm schmerzliche Erinnerungen. Er stellte keine Fragen, erwähnte nur, daß auch die Familie das Gut habe verlassen müssen. Dann schwiegen sie. Wenn man einander auf der gleichen Seite wußte, war Schweigen ein Schutz, der respektiert wurde.
    Behutsam und bestimmt zugleich lenkte der Zeitungshändler das Gespräch in die Gegenwart zurück.
    »Wo Sie können lesen, machen Sie mir die Ehre, nehmen sie die Zeitung mit. Ich schenk sie ihnen. Dem klaanen Remmach.«

Schaubude

    Im Schwarzhandel war ich ein ganz Kleiner, auf der Bühne kaum größer, als Jazzler mit dem Akkordeon aber fiel ich auf. Besonders durch meinen Gesang in einer gewissermaßen chiffrierten, synkopenreichen Sprache, die sich BE BOP nennt.
    »Du jaulst zwar wie ein irrer Derwisch, aber es ist mal was anderes«, sagten die Freunde.
    Das fand man auch beim Nachwuchsbrettl im Simpl, damals am Platzl, gegenüber dem Hofbräuhaus. Theo Prosl, Wirt und Kabarettnestor, hatte sich trotz der schweren Zeiten ein Herz für zarte Talentpflänzchen bewahrt. Nach dem offiziellen Programm durften diese sich um das Wohlwollen des bereits entströmenden Publikums bemühen — Scharmützel an der Untergrenze der Kleinkunst. Die Obergrenze wurde von der Schaubude markiert, wo Ursula Herking auftrat und Erich Kästner Texte schrieb.
    Nach ein paar Auftritten unten meldete ich mich unaufgefordert oben, das Instrument im Koffer. Einer der zwei Direktoren des Hauses, Rudolf Schündler — er sollte später einer der brillantesten Chargenspieler des deutschsprachigen Theaters werden — Rudolf Schündler empfing mich in der Rolle des feingespürigen Talententdeckers. Er blickte kritisch, nickte versonnen, hörte nicht zu. Ungeduldig schickte er mich auf die Bühne. Auch für meinen Vortrag nahm er sich keine Zeit.
    »Danke, genug .«
    Mit dem Luftknopf schloß ich den Balg des Akkordeons. Es klang wie ein Seufzer vor ungewisser Zukunft. Um meine demütigende Lage nicht auszuweiten, nahm ich das Instrument über die Schulter, stürmte mit leerem Koffer ab und dem Ausgang zu. Neue Peinlichkeit im Foyer: Rudolf Schündler stand mir im Weg.
    »Kommen Sie mit«, sagte er, »Sie spielen im nächsten Programm .«
    Es war im umgedrehten Orwell-Jahr, und er bot mir pro Vorstellung acht Mark. Für mich waren sie wie achthundert.
    Bei dieser Visitenkarte!
    Die provozierte Entdeckung brachte mir neben einem Solo mit Akkordeon allerlei Kleinstrollen in Sketches und Ensemblenummern, mit Monika Grewing, Gisela Fackeldey, Ruth Kappelsberger, mit Hellmuth und Bum Krüger, Alfons Höckmann, Fritz Walter sowie zweien von meinem Schlag: unvermeidbare Randfiguren zu acht Mark. Oder bekamen sie gar zehn? Über Gagen wird unter Gleichrangigen geschwiegen, aber jeder fürchtet, der andere verdiene mehr.
    Wir spielten kein geschlossenes Stück, wir machten sogenanntes Nummernkabarett mit Zwischenconférencen, bissigen oder heimtückisch-samtpfotigen Anmerkungen zum Zeitgeschehen.
    Meist conférierte Hellmut Krüger. Gelegentlich ein anderer, langsamer, kontemplativer als der Balte, der Ostpreuße Walther Kiaulehn. Eigentlich Journalist und vor allem Theaterkritiker, kompensierte er das einseitige Befinderdasein durch schneidigen Seitenwechsel, indem er selbst auftrat und sich seinen Kollegen von der Kritik stellte. Das wirkt nicht nur mäßigend auf die eigenen Rezensionen; wer Mittel und Möglichkeiten des Darstellers aus eigener Erfahrung kennt, dem gelingen interessante Blickwinkel. Er gleitet weniger leicht in Bildung, Eitelkeit oder Geschmäcklerei ab.
    Und trotzdem: Walther Kiaulehn blieb auch auf der Kabarettbühne seinem Fach treu. Er kritisierte das Welttheater, nahm sich Schmierenkomödianten aus der Politik vor, die jüngsten Ereignisse — auch Nebensächliches, so es typisch war — sarkastisch und aus dem Stegreif. Dabei kam der im Feuilleton so konzis Formulierende leicht vom Hundertsten ins Tausendste, als sei er von jemandem gelobt worden, man könne ihm stundenlang zuhören. Sicher war es auch die Lust des langsamen Verfertigens der Gedanken beim Reden, die er dabei auskostete, die Kunst, Einfall um Einfall hervorzubringen und auf Anhieb witzig zu formulieren.
    Wenn Walther Kiaulehn conférierte, hatte das weitere Programm Verspätung. Kein Zischen des Inspizienten aus der
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