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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten
Autoren: Oliver Hassencamp
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ich meiner Wirkung nicht froh. Es waren Triumphe in der falschen Richtung. Ich beeindruckte die Darsteller, nicht das Publikum. Daran änderte sich nichts, so sehr ich mein Sätzchen von Vorstellung zu Vorstellung neu gestaltete. Den Rest gab mir Erich Engel, der Intendant persönlich. Nach einer Neufassung des Sätzchens nahm er mich beiseite.
    »Versuch’ nicht zu gestalten! Das wollen wir den Schauspielern überlassen. Sag deinen Satz so, daß man ihn versteht. Ob du ihn verstehst oder was du dir dabei denkst, ist völlig uninteressant .«
    Die Antwort, ich hätte dem Hauptdarsteller nachgeeifert, lag mir auf der Zunge. Doch ich biß sie weg. Der würdige Mime machte nämlich sehr viel. Für meinen Geschmack zu viel. Auch Erich Engel litt unter dem Schöngetöne. Was mich betraf, gab ich ihm recht, denn in diesem Augenblick wurde mir eines klar: Ich konnte nicht in eine Rolle schlüpfen, konnte mich nicht verwandeln. Weil ich mich gar nicht verwandeln wollte.
    Das hing nicht zuletzt mit meiner Militärzeit zusammen. Dort hatte ich mich ständig verstellen müssen, auf Befehl Diensteifer Vortäuschen, bei dümmlichen Vorgesetzten subalterne Haltung einnehmen. Mir reichte es. Ich wollte nicht mehr Theater spielen. Auch nicht beim Theater. Wenn ich privat mit meiner Ziehharmonika als Jazzler auftrat, hatte ich Erfolg. Weil ich mich da nicht verstellte. Wer parodiert, deutet einen anderen nur an. Ohne sich selbst zu verleugnen. Er bleibt Privatperson und hat als solche die Freiheit zu improvisieren. So machen sie’s beim Kabarett.
    Ohne es zu ahnen, hatte mich mein künstlerischer Ziehvater über den kleinen Unterschied aufgeklärt.
    Beim Schauspieler, der mit festgelegtem Text ganz hinter seiner Rolle verschwindet, fragt man: Wie heißt eigentlich der Hamlet privat? Beim Kabarettisten, der trotz aller komödiantischen Lust immer er selbst bleibt, sagt man: Der Sowieso war sehr gut — oder sehr schlecht — als...
    Ich war kein Schauspieler. Ich hatte mein Sätzchen nie gestaltet, immer nur Typen parodiert, mit noch scheuer Lust an Improvisation, am freien Umgang mit Geste und Wort, am Spiel mit Einfällen aus dem Augenblick.
    Krieg stellt seltsame Weichen. Ich hatte überlebt, weil ich mich nicht blindlings unterordnete. Wenn es mulmig wurde, fielen mir Tricks ein, um mich selbständig zu machen. Dieser Drang nach Spielraum hatte sich zum Charakterzug ausgewachsen. Alles Zu-fest-Gefügte war mir verdächtig. Insbesondere bei den Klassikern auf dem Theater. Verleitet, ja zwingt die legierte Sprache nicht förmlich zu falschen Tönen, zu pathetischem Leerlauf über verstaubte Probleme hinweg, zu Placebotemperament und Edelsirup von Wohllauten der Verinnerlichung?
    Noch sehe ich den kühlen Erich Engel auf der Probe sich winden wie unter Magenkrämpfen. Sie rührten nicht von dem Kaffee her, den ich ihm gebracht hatte. Er litt am deutschen Wesen auf der Bühne, an dem Gralsgetue, das da Tiefe zelebriert. Um genau das zu vermeiden, hatte er Shakespeare neu übersetzt, entschlegelt und entplüscht, wohlwissend, wie kitschanfällig die Gestaltung von Gefühlen ist.
    Diese Festgefahrenheiten zu lockern, langweilte mich schon beim Zuschauen. Mein Drang nach Spielraum und Lebensfreude muß echt gewesen sein. Er teilte sich so deutlich mit, daß mein Vertrag nicht verlängert wurde.
    Arbeitslos, mit riesigem Entscheidungsspielraum, blieb ich den Kammerspielen verbunden. Durch mein Ausscheiden sollte keine Lücke entstehen. Schwarzhandel war Vertrauenssache, und so lang die gewohnten Quellen sprudelten, suchte man sich keine neuen.
    Ohne jeden Versuch, einen Schwarzhändler bühnenreif zu gestalten, vielmehr ganz als Privatperson, die einen Preistreiber parodiert, belieferte ich weiterhin die Schauspieler mit den mir zugänglichen Kleinmengen: eine Stange amerikanischer Zigaretten, eine Dose Kaffee, Peanutbutter, Milchpulver, Cornedbeef, Trockenei, Schokolade. Sorgen machte ich mir nicht. Ich wußte jetzt wohin. Nur noch nicht wo.

Das Schtetl in der Stadt

    Nicht nur das Land war besetzt, auch die Sprache. Viele Worte wurden ohne phonetische oder orthographische Anpassung aus dem Amerikanischen übernommen. Dann wandelten sich die Besatzer zu Verbündeten; die Besetzung der Sprache aber blieb, ja sie steigerte sich noch. Niemand wehrte sich dagegen. Was Verbündete sprechen, ist Freundsprache, nicht Fremdsprache. Auch daran mag es liegen, wenn wir den unaufhörlichen Zustrom von Amerikanismen nicht als verbale
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