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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten
Autoren: Oliver Hassencamp
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Thorak.
    Alle Vorübergehenden hatten an diesem Ehrenmal der Nation den Deutschen Gruß zu entbieten. Sonst landeten sie auf der gegenüberliegenden SS-Wache und wer weiß wo danach.
    Wir umgingen die Zumutung im genauen Sinn des Wortes: Wir bogen vorher ab, ins sogenannte Drückebergergäßchen.
    Die militärische Lage machte — Simsalabim — aus dem Ehren- ein Schandmal. Anfang Mai 1945, unmittelbar nach dem Einrollen der Amerikaner, brachen zwei Freunde auf, es zu entfernen. Der Ex-Obergefreite Dieter Rieppel — er hatte sich am Vortag als Pfarrer verkleidet, von einer Strafversetzung nach Hause durchgesegnet — und sein Schwager, der Architekt Tino Walz. Frühmorgens kamen sie zur Feldherrnhalle. Die Tafel war aus der Halterung gerissen und lehnte an der Wand, der Kopf des Adlers fehlte. Mit Hebeltechnik wuchteten sie die Last auf Rundhölzer, um sie über die Straße in die Residenz zu rollen. Einer hob die hinten freiwerdenden Hölzer auf und legte sie vom wieder in den Weg, der andere schob das Monstrum am Hals des Adlers vorwärts.
    Ein Radler kam des Wegs, sah sie den König der Lüfte anschieben wie eine störrische Kuh und lachte.
    »Aha! Tut’s Vögel fangen in aller Herrgottsfrüh .«
    Die beiden schoben nicht allein die Vergangenheit weg, sie sorgten bereits für die Zukunft vor: Die Bronze stellte einen Wert dar, der nicht verlorengehen durfte. In NATO-Deutsch würde man von Recycling sprechen. Denn nicht alles, das man seiner Eigenschaften wegen von früher übernimmt, verdient die Bezeichnung Tradition.

    Vor den Toren Münchens, im Landkreis Starnberg, sah es so aus, als sei die Vergangenheit wieder zurückgekehrt. Auf höchst surreale Weise, denn keiner hatte jene Zeiten miterlebt, die hier plötzlich auferstanden. Schauplatz: ein besonders schöner Bauernhof. Er gehörte einer bekannten Münchner Familie, Besitzer einer großen Firma. Auf diesem Hof hatte Gewandmeister Günther von den Kammerspielen gegen Ende des Krieges die wertvollsten Kostüme ausgelagert.
    Nach dem Zusammenbruch zogen befreite KZ-Insassen durchs Land. Auf Suche nach leiblichen Genüssen, den lange entbehrten, nistete sich ungefähr ein Dutzend von ihnen in dem Hof ein. Sie fanden nicht nur, was sie suchten, sie fanden auch etwas, um endlich wieder lachen zu können.
    Eines Tages staunten die Bewohner im Umkreis über den Besuch höchster Herrschaften. Aus verschiedenen Jahrhunderten. Da saß ein zaundürrer Hamlet auf einer Bank; dort ging Maria Stuart mit dem Fürsten Piccolomini über die Dorfstraße. Vor der Kirche wartete Doktor Faust auf Emilia Galotti; Minna von Barnhelm stand mit Don Carlos am Brunnen, während Kaiser Maximilian und der Großinquisitor aus dem Wirtshaus wankten. Kopfschüttelnd standen zwei alte Einheimische in der Nähe.
    Sagte der eine: »I wart nur, daß jetzt no der König Ludwig aus ‘m Rathaus kommt .«
    Der andere seufzte: »Dann hätt’ ma endlich wieder a Monarchie !«

Der kleine Unterscheid

    Nach sechs Jahren in vaterländischer Einheitskleidung und erfolgreichem Widerstand gegen alle Versuche, einen Offizier aus mir zu machen — ich wollte keine Hitler-Befehle ausführen, noch solche weitergeben — sagte der Zivilist in mir: Jetzt holst du die verlorene Zeit erst einmal nach. Widme dich ganz der Lebensfreude! Der Ernst des Lebens kann warten.
    Viele Freunde dachten ähnlich. Berufe, die sie hätten ergreifen können, gab es noch nicht. Gewiß, jeder tat etwas, irgendwo. Wegen der Lebensmittelkarten, der Aufenthaltsbewilligung, der Einweisung in ein Zimmer. Vorrangig aber war man mit Überleben beschäftigt und mit den Festen, die wir feierten, gut drei in der Woche.
    Ich hatte diesen sinnlichen Antrieb mit dem Berufsnachweis gekoppelt und war so beim Theater gelandet, bei den Münchner Kammerspielen. Als Kaffeeholer für den Regisseur, Beschaffer von Zigaretten und anderen Schwarzmarktgütern für die Schauspieler — eine Tätigkeit, die es mir unter dem Decknamen Regieassistent erlaubte, offiziell vorhanden sein zu dürfen. Gelegentlich wurde ich lückenbüßenderweise in ein muffelndes, Gänsehaut erzeugendes Kostüm gesteckt und mußte auf der Bühne auswendig gelernte Sätze wiederkäuen. Sehr kurze Sätze, meist nur einen. Doch der war von entscheidender Bedeutung. Dramaturgisch sind die Kleinstrollen, die Boten-Auftritte wichtigsten Figuren oft überlegen. Wenn ich die Bühne verließ, war alles anders und die Hauptdarsteller hatten sich damit abzufinden.
    Trotzdem wurde
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