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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten
Autoren: Oliver Hassencamp
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ohnehin nicht zimperlichen Texten zusätzlichen Schub. Die Autoren durften ja wieder ihre Meinung sagen und taten es witzig.
    Axel von Ambesser hatte eine Parodie auf die erste Nachkriegsexportschau verfaßt, eine Ausverkaufsschau, in der er Typen vorführte. Den Export-Deutschen, brav, ohne Nazivergangenheit, die Samariterin der Besatzer, das sogenannte Fräulein, und so weiter.
    Da kam aus der Schweiz Carl Zuckmayer erstmals wieder nach Deutschland. Er sah sich Theater an, prüfte die Stimmungslage für sein Stückprojekt Des Teufels General und besuchte auch die Schaubude. Das Programm gefiel ihm. Bis auf Ambessers Export-Sketch. Sein Ein wand verblüffte, ja er rührte ans Herz. Ausgerechnet er, der Vertriebene, der Emigrant, fühlte sich in seinem alten Heimatgemüt verletzt. Der Text war ihm, wie er sagte, zu »anti-deutsch«.
    Gestrichen wurde er deswegen nicht. Für die zwangsläufig Dagebliebenen traf er genau. Im Morgenrot der Freiheit galt es wachsam zu sein. Nicht nur auf dem Schwarzen Markt. Die von den Braunen Gebrannten wußten genau zu unterscheiden, falschen Neuanfängen mit Sarkasmus zu wehren, oder, wie Freund Axel es formuliert hatte: Aufforderung an alle traurigen Vögel, das Nest zu beschmutzen!
    Wachsamkeit war in der Tat geboten. Walter Kiaulehn befürchtete Angriffe auf die Darsteller. Nicht von vorn, vom Publikum, eher von hinten, vom technischen Personal. Bühnenarbeiter, Beleuchter, Requisiteur rekrutierten sich nämlich aus alten Obernazis, die zur Schaubude kommandiert worden waren, um hier ihr Arbeitslager abzudienen.
    Man bedenke: Stramme Nazis verhelfen Pointen gegen die Nazis zu größtmöglicher Wirkung — eine wahrhaft kabarettistische Lösung. Und bei den sarkastischen Texten vielleicht eine gründlichere Umschulung als sie gemeinhin geübt wurde.

    Zwischen politischen Attacken bot das Programm Ventile zur Bewältigung des Alltags, Allzumenschliches beider Geschlechter, Burleskes, Hintersinniges. Als zarten Kontrapunkt hatte die Direktion Monika Greving engagiert. Der jungen Schauspielerin war, infolge eines von der Gestapo abgefangenen Briefes, das Konzentrationslager Oranienburg nicht erspart geblieben. Jetzt sprach München von ihrer Interpretation lyrischer Kästner-Chansons; der Kritiker Max-Christian Feiler nannte sie zärtlich Die blaue Blume der Romantik.
    Nun heischt ein Kabarettensemble Vielseitigkeit. Jeder muß neben seinen Brillier-Rollen auch Reifen halten, den Stichwortgeber für andere machen, aus sogenannten technischen Gründen. Weil besser Geeignete hinter der Bühne gerade einen größeren Kostümwechsel zu bewältigen haben.
    Mit einem Nichts an Text, aus Mimik und Gesten in Sekunden eine Figur hinzustellen, die obendrein komisch sein soll, das erfordert viel Brettl-Erfahrung. Hier wird der Mimus gefordert, der elementare Spieltrieb. Mancher renommierte Bühnenschauspieler ist daran schon gescheitert und hat fortan das Kabarett als Klamottenbetrieb verteufelt.
    Die Blaue Blume welkte beim ersten rauhen Reifenhalten rasch. Auf der Probe einer Ambesser-Szene brach Rudolf Schündler nach dem dritten Durchlauf ab. Das betretene Schweigen dröhnte in ihrem Kopf, unter Tränen lief sie davon. Der Autor, zufällig im Theater, saß bereits in ihrer Garderobe. Väterlich nahm er sie zwischen die Knie.
    »Du hast sowas noch nie gespielt, gib’s zu .«
    Schon sah sie ihr Engagement entschwinden und konnte nur nicken.
    Freund Axel griff nach ihrer Hand. »Mach dir keine Sorgen. Dann ziehe ich den Sketch einfach zurück .« Wie die Besatzer ihre langen Zigarettenkippen, warf er die eigenen Pointen weg und schrieb zu Hause einen anderen Übergang. Bei der Premiere blühte die Blaue Blume betörender denn je.
    Bis zum Finale.
    Mit einer Parodie auf die Bernauerin von Carl Orff war dem Autor Herbert Witt nach aller Meinung ein Wurf gelungen. Eine Schlußnummer aus dem Bilderbuch. Urkomisch Ursula Herking als Agnes Bernauer, der knochige Bruno Hübner — später bei den Kammerspielen — als Bahnvorstand. Aber nicht nur sie, alle hatten prächtige Rollen in diesem deftig-bayerischen Derbleckspiel, konnten ihre Spiellaune austoben, getragen von jenem guten Gefühl, das man — toi toi toi — nicht beschreien darf.
    Sie sollten sich nicht täuschen. Bei der Premiere saß jede Pointe. Aus der Distanz des in Masuren geborenen Berliners hielt der Autor die lokale Stammeseigenart sicher im satirischen Griff. Als der Vorhang fiel, jubelten Zugereiste und Intellektuelle. Viele in
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