Friesenluege - Ein Nordfriesland Krimi
so sehr liebte. Im Sommer war es abends lange hell, doch bereits in aller Herrgottsfrühe schien die Sonne wieder und tauchte die Landschaft in ein grandioses Licht. Beinahe, als wäre sie gar nicht untergegangen. Eigentlich wäre er lieber Laufen gegangen. Schließlich war Wochenende, und Zeit für Sport blieb ihm meist nur an seinen freien Tagen. Aber da er gestern zugesagt hatte, mit Erika Matzen nach Hamburg zu fahren, mussten auch heute seine sportlichen Aktivitäten ausfallen. Und wenn es keine Dienstfahrt gewesen wäre, hätte er sich auf den Besuch in Hamburg gefreut. Doch der Anlass der Tour in die rund 200 Kilometer entfernte Hansestadt war leider nicht schön. Da halfen auch das tolle Wetter und die wundervolle Landschaft, durch die er fuhr, nicht wirklich drüber hinweg. Kurz darauf stoppte er seinen Wagen vor dem Haus hinterm Außendeich. Erika Matzen schien am Fenster nach ihm Ausschau gehalten zu haben, denn sie öffnete die Haustür, ehe er ausgestiegen war. Eilig stürmte die ältere Frau auf das Auto zu. Während sie näher kam, fiel ihm auf, dass sie noch elender aussah als bei seinem gestrigen Besuch. Verständlich, denn vor Aufregung hatte sie wahrscheinlich die zweite Nacht in Folge nicht geschlafen. Er begrüßte Erika Matzen und half ihr einzusteigen. Dann setzte er sich wieder hinter das Steuer, wendete und fuhr zurück Richtung Niebüll. Die Frau auf dem Beifahrersitz war nicht sonderlich gesprächig, und Thamsen wollte auch nicht so recht etwas einfallen, worüber er sich mit Erika Matzen unterhalten konnte. »Schön wohnen Sie dort am Deich«, versuchte er daher, mit einem Lob über das Haus eine Konversation zu beginnen.
»Ja, aber wer weiß wie lange noch.«
Thamsen runzelte die Stirn. »Wieso, wollen Sie wegziehen?«
»Na, von wollen kann nicht die Rede sein.« Erika Matzen kramte in ihrer Handtasche. »Sagen Sie, wo genau fahren wir hin?«
»Nach Eppendorf.«
»Ins UKE?« In Erika Matzens Stimme keimte Hoffnung auf. Wahrscheinlich dachte sie, Heinrich sei nur verletzt und melde sich deswegen nicht.
»Nicht ganz«, druckste Thamsen herum und versuchte, nun seinerseits das Thema zu wechseln. Er wusste, es wäre besser gewesen, die Frau auf den Besuch in der Rechtsmedizin vorzubereiten, aber er hatte keine Ahnung wie. Außerdem befürchtete er, sie könne einen Zusammenbruch erleiden, wenn er ihr ins Gesicht sagte, dass sie womöglich die Leiche ihres Mannes anschauen fuhren. »Und Ihre Tochter kommt Sie oft besuchen?«
»Och, weniger. Die hat genug eigene Sorgen.«
»Weswegen?«
Erika Matzen schwieg einen Moment, während sie immer wieder den Verschluss ihrer Handtasche auf und zu knipste. Ganz offensichtlich war dies keines ihrer bevorzugten Gesprächsthemen. »Na, wegen Geld und so«, flüsterte sie schließlich.
Haie radelte mit seinem Mountainbike Richtung B 5. Er wollte ein Päckchen zur Bäckerpost bringen und bei der Gelegenheit gleich frische Brötchen zum Frühstück besorgen. Eigentlich machte das Tom immer, doch Niklas war am Morgen in sein Bett gekrabbelt, und als Haie den Kleinen holen wollte, hatten Vater und Sohn selig geschlummert. Die Sonne schien und er genoss die herrlich frische Luft, die im Laufe des Vormittags wieder heiß und stickig werden würde. Wobei wirklich drückend wurde es hier oben im Norden selten, meistens wehte eine leichte angenehme Brise. Er passierte den Bahnübergang und stoppte kurz darauf vor dem kleinen Bäckerladen, der gleichzeitig eine Filiale der Post war – daher auch der Name Bäckerpost. Mit einem massiven Fahrradschloss sicherte er das Gefährt.
»Na, hast du Angst, die klauen deinen Drahtesel?«, witzelte Uwe Mommsen, der mit einer Tüte Brötchen aus dem Laden kam. »Das klaut doch keiner, erkennt ja jeder.« Damit hatte der Mann nicht ganz unrecht. Haie kannte niemanden im Dorf oder der näheren Umgebung, der ein neongelbes Fahrrad besaß. Das würde sofort auffallen. Aber Vorsicht war nun einmal die Mutter der Porzellankiste, und daher schloss er seinen Drahtesel stets ordnungsgemäß ab.
»Und, sind jem torüch aus der großen weiten Welt?«, konterte Haie zurück. Er wusste, dass die Seniorengruppe einen Ausflug nach Hamburg unternommen hatte. Er fühlte sich für derartige Aktivitäten zu jung – schließlich dauerte es noch, bis er in Rente ging. Jedenfalls redete er sich das ein, denn er feierte dieses Jahr bereits seinen 64. und spätestens in eineinhalb Jahren würde auch er in den Ruhestand gehen.
»Jo,
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