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Friesengold (German Edition)

Friesengold (German Edition)

Titel: Friesengold (German Edition)
Autoren: Bernd Flessner
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vertrauten Grundschmerz wich, den er seit Tagen nicht gespürt hatte. In der Tür stand ein kleiner Mann, ziemlich genau einsfünfundsechzig groß, Mitte fünfzig, aber mit vollem Haar, das ihm bis auf die Schultern reichte und ihm, im Zusammenspiel mit einem ironischen Grinsen, eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Philosophen Peter Sloterdijk verlieh. Herbert Pütthus, sein Kollege vom Raub.
    »Kannst du nicht anklopfen?«
    »Beim nächsten Mal. Versprochen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du kurzfristig auf interner Dienstreise warst.«
    »Du hast nicht nur mich, sondern auch mein Knie geweckt«, brummte Greven und machte ein mürrisches Gesicht. »Was gibt es denn so Dringendes?«
    »Wenn es dir gerade nicht passt, kann ich auch später wiederkommen.«
    »Nun sag schon!«
    »Heute Vormittag, so gegen zehn Uhr, ist jemand bei Sophie von Reeten eingestiegen und hat die halbe Wohnung auf den Kopf gestellt.«
    »Sophie von Reeten?«, wiederholte Greven und fasste sich ans Knie, das tatsächlich begonnen hatte, sich mit dem Schmerz anzufreunden.
    »Alter friesischer Adel. Wohnt in dieser wunderschönen, aber schlecht gesicherten Gründerzeitvilla in der Laurinstraße.«
    »Dieser gelbe Klotz mit dem Türmchen?«
    Pütthus nickte wie ein zufriedener Lehrer.
    »Und was fällt für mich dabei ab?«
    »Das weiß ich nicht«, gestand Pütthus und sprach betont langsam, »aber ich habe zufällig die Fotos von der Goldschmiede gesehen. Wenn man sich die Uhren wegdenkt, sieht es in der Villa eigentlich ganz genauso aus.«
    »Du meinst, dieselbe Handschrift?«
    »Könnte schon sein. Die großen Schubladen und die vielen Papiere auf dem Boden. Aber den Schmuck hat der Täter übersehen oder liegenlassen. Nur das Bargeld vom Schreibtisch hat er mitgenommen. Aber deswegen ist der bestimmt nicht gekommen. Der hat etwas Bestimmtes gesucht.«
    Greven zog die Hand von seinem Knie, hob sie zum Gesicht und strich über seinen Dreitagebart.
    »Was ist mit den Bewohnern?«
    »Nichts. Sophie von Reeten und ihre Tochter waren zum Glück nicht zugegen, als der Täter die Verandatür professionell aufgehebelt hat.«
    »Einen Herrn von Reeten gibt es nicht?«
    »Nein, ihr Mann ist bei dem Tsunami 2004 ums Leben gekommen. Sag mal, liest du eigentlich keine Zeitung?«
    Greven überhörte die Frage.
    »Wann sehen wir uns die Villa an?«
    »Rate mal, warum ich gekommen bin?«, antwortete Pütthus trocken und hob die Augenbrauen. »Mein Auto steht vollgetankt und mit neuen Winterreifen vor der Tür.«
    Greven ignorierte sein Knie, angelte sich Hut und Mantel vom Garderobenständer und folgte seinem Kollegen auf den Flur. Auf dem Weg zum Wagen rief er Häring an, der gerade in der Kantine mit einem Pudding kämpfte.
    Schon oft war Greven an der Villa vorbeigefahren, denn Monas Gulfhof lag nicht weit entfernt, und die Laurinstraße war eine von drei Möglichkeiten, in die Innenstadt zu gelangen. Die Eigentümerin war ihm jedoch unbekannt. Das verputzte und gelb gestrichene Haus mit hohen Fenstern lag in einem kleinen Park, der von alten Eichen und Buchen beherrscht wurde, die kahl und trotzig aus dem Schnee ragten. Vor dem Haupteingang standen zwei Einsatzfahrzeuge und ein rotes Cabrio mit schwarzem Verdeck, ein Jaguar Type E. Dieses seltene Auto war ihm allerdings bekannt. Schon mehrmals war es Greven in der Stadt aufgefallen, ohne zu wissen, wem es gehörte. Er interessierte sich sonst nicht für Autos, in denen er notwendige, nicht selten aber lästige und mit Sicherheit kostspielige Übel sah. Die noch immer weit verbreitete Vorstellung, mit einem teuren Auto aller Welt seinen sozialen Status oder wenigstens seinen ökonomischen Erfolg demonstrieren zu können, fand er schlicht albern. Gelungen fand er hingegen die Formulierung, die Der Spiege l einmal für eine Titelstory geprägt hatte: Sondermüll auf Rädern.
    Bei diesem Auto jedoch machte Greven eine Ausnahme, die er sich selbst nicht erklären konnte. Die schlanke, elegante und kompromissvolle Form des englischen Oldtimers gefiel ihm einfach, ebenso das Geräusch des Motors, der noch nicht von High-Tech-Ideologen domestiziert worden war. Die Fragen nach dem Verbrauch und dem Nutzwert verdrängte er, wenn auch nicht ohne Mühen.
    Rot auf Weiß stand es da, fast wie ein Blutstropfen im Schnee. Nur das schwarze Verdeck störte den Dialog der Farben. Die Speichen und die verchromten Stoßstangen glänzten. Der Wagen wurde also gepflegt. Eine echte Antiquität, ein Schmuckstück, ein Mythos.
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