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Friesengold (German Edition)

Friesengold (German Edition)

Titel: Friesengold (German Edition)
Autoren: Bernd Flessner
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mussten, keine Abdrücke befanden, konnte man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Abdrücke auf den Vitrinen von Kunden stammten. Von Kunden, die eigenwillige Kreationen liebten und sie auch bezahlen konnten.
    Ernüchtert schlug Greven den grauen Aktendeckel zu, nur um einen weiteren zu öffnen, in dem Häring das bislang bekannte familiäre und soziale Umfeld des Goldschmieds grob skizziert hatte. Onken war sowohl Vollwaise als auch Einzelkind. Eine Tante war vor Jahren verstorben, ein Onkel lebte in Wilhelmshaven in einem Seniorenheim. Vettern oder Cousinen hatte Häring nicht oder noch nicht auftreiben können. Außerdem schien Onken sehr zurückgezogen gelebt zu haben. Der Kreis war überschaubar. Die Nachbarn. Ein paar Philatelisten. Ein Grüppchen Theaterabonnenten. Greven beschloss, Ackermann und Peters mit der Aufgabe zu betrauen, sich diesen Kreis einmal näher anzusehen. Man konnte ja nie wissen. Edzard Peters war der Neue, und Greven neugierig, wie der etwas schüchterne frischgebackene Fachhochschulabsolvent mit der unvermeidlichen Routine zurechtkommen würde.
    Große Hoffnungen machte Greven sich allerdings nach wie vor nicht, den Fall schnell zu klären. Im Gegenteil, aus Erfahrung wusste er, dass sich die Aufklärung von Fällen dieser Art, bei denen nicht einmal das Motiv erkennbar war und in denen es nur wenige Spuren gab, über Jahre hinziehen konnte. Er misstraute zwar dem Zufall, doch jetzt setzte er auf ihn, hoffte auf einen ähnlichen Fall, der erkennbare Parallelen aufwies, hoffte auf einen Fehler des wahrscheinlich professionellen Täters.
    Greven war allein im Büro. Im Gegensatz zu seinen Kollegen hatte er wieder einmal auf den Gang in die Kantine verzichtet und stattdessen Monas ausgewogene, ballaststoffreiche und kalorienarme Vollwert- und Vollkornmahlzeit gegessen, einer Art Mischung aus Labskaus, Jogurt und Vogelfutter, wahrscheinlich nach einem Rezept von Barbara Rütting. Der Geschmack war sogar akzeptabel, da seine Lebensgefährtin Kreuzkümmel, Bockshornklee, Koriander und andere indische Gewürze unter den klebrigen Brei gerührt hatte. So schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe. Er entging dem oft ungenießbaren Essen der Kantine und konnte zugleich Monas Drängen auf eine gesündere Lebensweise nachgeben.
    Eine leichte Müdigkeit bedrängte ihn, er lehnte sich im Ledersessel zurück, den ihm der Staat nach mehreren Eingaben aufgrund seines lädierten Knies spendiert hatte. Die Höhe der beiden Aktenstapel rechts und links auf seinem Schreibtisch hielt sich in für ihn bescheidenen Grenzen. Die immer wieder aufkeimende Kritik an seinem System, das Experten eruptive oder vulkanische Ordnung getauft hatten, blieb ihm unverständlich. Auf ein Stichwort hin war er in der Lage, aus jedem der beiden Stapel auf Anhieb und ohne Aktivierung irgendeiner Suchfunktion die gewünschte Akte hervorzuziehen. Schneller war selbst sein Kollege Peter Häring nicht, der mit allem vernetzt und emotional verbunden war, was ein Display besaß und von Steve Jobs angepriesen wurde.
    Ein Satz von Erich Fromm kam ihm in den Sinn, den er jüngst in der Zeitung gelesen hatte: »Eine gesunde Wirtschaft ist gegenwärtig nur um den Preis kranker Menschen möglich.«
    Seine Gedanken drifteten weiter ab, verließen schließlich sein Büro, verließen die Polizeiinspektion, verließen den Fischteichweg und nisteten sich in der Plattenrille ein, seinem Lieblingsschallplattengeschäft in Hamburg. Als er dort, vor dem Schuss auf sein Knie, Jagd auf Waffenschieber und Drogenbarone gemacht hatte, war er regelmäßig in dem Laden im Grindelviertel unweit des Abaton-Kinos auf der Suche nach Vinyl aus den 1960er und 1970er Jahren fündig geworden. Wenn er heute ab und zu sein altes Revier aufsuchte, stattete er auch immer der Plattenrille einen Fahndungsbesuch ab. Noch nie hatte er die gepflegte Fundgrube ohne den einen oder anderen gehobenen Schatz verlassen, ohne eine Rarität von Faust, If, John Coltrane oder dem Dave Pike Set.
    Mit geschlossenen Augen und begleitet von elektrisch verstärkten Sitarklängen suchte er in großen Kisten nach seltenen Scheiben, blätterte die Cover um, betrachtete die Rückseiten, besah sich den Zustand der Laminierung …
    »Guten Morgen. Hier ist der Beamtenweckdienst. Was darf ich Ihnen bringen? Tee, Kaffee, Schwarzer Afghane?«
    Greven ließ die Platten fallen und sprang fast aus seinem Sessel. In seinem Knie spürte er einen Stich, der jedoch gleich wieder dem
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