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Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere
Autoren: Stephen King
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Mund spielte ein Lächeln. Er steckte eine Chesterfield in eine Ecke des Lächelns und riß am Daumennagel ein Streichholz an. »Sie erinnern sich doch an den Pfad, der Ihrer kleinen Tochter auffiel?«
    Einen Augenblick lang erinnerte Louis sich nicht; Ellie war eine endlose Liste von Dingen aufgefallen, bevor sie endlich ins Bett sank. Doch dann fiel es ihm wieder ein. Der breite, gemähte Pfad, der sich durch ein Dickicht und den Hügel hinaufwand.
    »Doch, ich erinnere mich. Sie haben versprochen, ihr eines Tages davon zu erzählen.«
    »Ja, das habe ich, und ich werde es auch tun«, sagte Crandall. »Der Pfad führt ungefähr anderthalb Meilen tief in den Wald. Die Kinder, die in der Umgebung der Route 15 und des Middle Drive wohnen, halten ihn in Ordnung, weil sie ihn brauchen. Kinder kommen und gehen -- heute ziehen die Leute viel öfter um als früher, zu der Zeit, in der ich ein Junge war; damals suchte man sich ein Zuhause und blieb da. Aber offenbar erzählt es einer dem anderen, und in jedem Frühjahr mähen ein paar von ihnen den Pfad. Sie halten ihn den ganzen Sommer über in Ordnung. Nicht alle Erwachsenen im Ort wissen, daß es ihn gibt -- viele kennen ihn natürlich, aber bei weitem nicht alle --, aber die Kinder wissen Bescheid, darauf gehe ich jede Wette ein.«
    »Wissen Sie, wohin er führt?«
    »Zum Tierfriedhof«, sagte Crandall.
    »Tierfriedhof?« wiederholte Louis verwundert.
    »Das ist weniger seltsam, als es vielleicht klingen mag«, sagte Crandall, rauchend und schaukelnd. »Es liegt an der Straße. Sie macht einer Menge Tiere den Garaus, diese Straße. In erster Linie Hunden und Katzen, aber nicht nur. Einer dieser großen Orinco-Laster hat den Waschbären überfahren, den die Ryder-Kinder als Haustier hielten. Das war -- ja, das muß 1973 gewesen sein, vielleicht noch früher. Jedenfalls bevor das Gesetz herauskam, das das Halten eines Waschbären oder sogar eines drüsenlosen Stinktiers verbietet.«
    »Warum denn das?«
    »Tollwut«, sagte Crandall. »In Maine gibt es jetzt eine Menge Tollwut. Vor ein paar Jahren wurde ein großer Bernhardiner tollwütig und brachte vier Menschen um. War eine schlimme Geschichte. Der Hund war nicht geimpft worden. Wenn die dämlichen Leute dafür gesorgt hätten, daß der Hund geimpft wurde, wäre es nie dazu gekommen. Aber einen Waschbären oder ein Stinktier kann man jedes Jahr zweimal impfen, und trotzdem sind sie nicht immer immun. Der Waschbär, der den Ryder-Jungen gehörte, war das, was man früher einen ›lieben Waschbaren‹ nannte. Er kam auf einen zugewatschelt -- war ein fetter Brocken -- und leckte einem das Gesicht wie ein Hund. Ihr Vater bezahlte sogar einen Tierarzt dafür, daß er ihn kastrierte und die Krallen entfernte. Das muß ihn ein kleines Vermögen gekostet haben. Ryder arbeitete damals in Bangor bei IBM. Vor fünf Jahren -- vielleicht auch schon vor sechs -- gingen sie nach Colorado. Merkwürdig, wenn man bedenkt, daß die beiden Jungen jetzt schon fast alt genug sind, um Auto zu fahren. Ob sie verzweifelt waren, als ihr Waschbär überfahren wurde? Ich glaube schon. Matty Ryder weinte so lange, daß seine Mutter Angst bekam und mit ihm zum Arzt gehen wollte. Ich nehme an, er ist darüber hinweggekommen, aber vergessen wird er es nie. Wenn ein geliebtes Tier überfahren wird, kann ein Kind das nie vergessen.«
    Louis' Gedanken kehrten zu Ellie zurück, wie er sie heute abend zuletzt gesehen hatte, tief schlafend, während Church am Fußende der Matratze rostig schnurrte.
    »Meine Tochter hat einen Kater«, sagte er. »Winston Churchill, kurz Church genannt.«
    »Schaukeln sie, wenn er läuft?«
    »Wie bitte?« Louis hatte keine Ahnung, wovon die Rede war.
    »Hat er seine Hoden noch, oder ist er kastriert?«
    »Nein«, sagte Louis. »Nein, er ist nicht kastriert.«
    Über dieses Thema hatte es schon in Chicago Diskussionen gegeben. Rachel wollte Church kastrieren lassen und hatte sogar schon einen Termin beim Tierarzt. Louis machte die Verabredung rückgängig -- warum, wußte er damals selbst noch nicht. Es hatte nichts damit zu tun, daß er auf irgendeine simple oder verrückte Art seine Männlichkeit mit der des Katers seiner Tochter gleichsetzte, es war nicht einmal Erbitterung bei dem Gedanken, Church müsse kastriert werden, damit sich die fette Hausfrau von nebenan nicht die Mühe machen mußte, die Deckel ihrer Kunststoff-Mülltonnen fest zu schließen -- diese Dinge hatten mit hineingespielt, ausschlaggebend jedoch war
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