Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friedhof der Kuscheltiere

Friedhof der Kuscheltiere

Titel: Friedhof der Kuscheltiere
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
er sich sehr klein. Niemand hatte ihn gebeten, Norma Crandall zu untersuchen; als er die Straße überquert hatte, war sie bereits zu Bett gegangen. Jud war eine undeutliche Silhouette hinter der Gaze, die die Veranda umschloß. Er hörte das anheimelnde Quietschen eines Schaukelstuhls auf altem Linoleum. Louis klopfte an die Gazetür, die einladend in ihrem Rahmen schepperte. Crandalls Zigarette glühte in der Dunkelheit des Sommerabends wie ein großes, friedliches Glühwürmchen. Aus dem Radio kam leise die Übertragung eines Baseballspiels; alles zusammen vermittelte Louis auf höchst merkwürdige Art das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein.
    »Doktor«, sagte Crandall. »Ich dachte mir, daß Sie es sind.«
    »Ich hoffe, Sie meinten es ernst mit dem Bier«, sagte Louis und trat ein.
    »Oh, was Bier betrifft, lüge ich nie«, sagte Crandall. »Ein Mann, der wegen Bier lügt, macht sich Feinde. Setzen Sie sich, Doktor. Ich habe für alle Fälle ein paar Dosen auf Eis gelegt.«
    Die Veranda war lang und schmal und mit Rattanstühlen und -sofas möbliert. Louis ließ sich in einen der Stühle sinken und war überrascht, wie bequem er war. Zu seiner Linken stand ein Zinkeimer mit Eiswürfeln und ein paar Dosen Black Label. Er nahm sich eine davon.
    »Danke«, sagte er und öffnete sie. Die ersten beiden Schlucke waren eine Wohltat für seine Kehle.
    »Mehr als gern geschehen«, sagte Crandall. »Ich hoffe, Sie verbringen hier eine glückliche Zeit, Doktor.«
    »Amen«, sagte Louis.
    »Sagen Sie -- wenn Sie Appetit auf ein paar Cracker oder so etwas haben -- ich könnte welche holen. Außerdem habe ich ein Stück Rattenkäse, das gerade reif ist.«
    »Ein Stück was?«
    »Cheddar.« Crandalls Stimme klang leicht amüsiert.
    »Danke, aber das Bier reicht.«
    »Na schön, gießen wir's in uns hinein.« Crandall rülpste zufrieden.
    »Ihre Frau ist zu Bett gegangen?« fragte Louis und wunderte sich, daß er selbst darauf zu sprechen kam.
    »Ja. Manchmal bleibt sie auf, manchmal nicht.«
    »Ihre Arthritis ist ziemlich schmerzhaft, nicht wahr?«
    »Ist Ihnen je ein Fall begegnet, bei dem das nicht so war?« fragte Crandall.
    Louis schüttelte den Kopf.
    »Ich nehme an, es ist zu ertragen«, sagte Crandall. »Sie klagt nicht viel. Sie ist ein gutes, altes Mädchen, meine Norma.« In seiner Stimme klang eine starke und simple Zuneigung. Draußen auf der Route 15 dröhnte ein Tankwagen vorbei, so groß und so lang, daß Louis einen Augenblick sein Haus jenseits der Straße nicht sehen konnte. An der Seitenfläche des Lasters, im letzten Tageslicht gerade noch erkennbar, stand das Wort ORINCO.
    »Verdammt großer Kasten«, bemerkte Louis.
    »Orinco liegt in der Nähe von Orrington«, sagte Crandall. »Eine Kunstdüngerfabrik. Sie fahren hin und her, ununterbrochen. Außerdem die Tankwagen mit Heizöl, die Kipplaster und die Leute, die morgens nach Bangor oder Brewer zur Arbeit und abends wieder nach Hause fahren.« Er schüttelte den Kopf. »Das ist das einzige, was mir an Ludlow nicht mehr gefällt. Diese verdammte Straße. Keine Ruhe mehr, weder Tag noch Nacht. Manchmal wacht Norma davon auf. Manchmal wache ich sogar davon auf, und ich schlafe gewöhnlich wie ein Holzklotz.«
    Louis, dem diese merkwürdige Landschaft von Maine nach dem ständigen Verkehrslärm von Chicago fast gespenstisch still vorkam, nickte nur.
    »Eines schönen Tages werden die Araber den Stöpsel zumachen, und dann können sie da drüben Usambaraveilchen züchten«, sagte Crandall.
    »Schon möglich.« Louis setzte seine Dose an und war überrascht, daß sie schon leer war.
    Crandall lachte. »Bedienen Sie sich selbst, Doktor.«
    Louis zögerte, dann sagte er: »Also gut, aber nur noch eine. Ich muß sehen, daß ich wieder hinüberkomme.«
    »Kann ich verstehen. Ist Umziehen nicht eine Pest?«
    »Das kann man wohl sagen«, pflichtete ihm Louis bei, und dann schwiegen sie eine Zeitlang. Es war ein behagliches Schweigen, als kennten sie einander schon seit langer Zeit. Es war ein Gefühl, von dem Louis zwar in Büchern gelesen, das er selbst aber bisher noch nie verspürt hatte. Er schämte sich der Gedanken über die kostenlose ärztliche Beratung, die ihm früher durch den Kopf gegangen waren.
    Auf der Straße dröhnte ein Sattelschlepper vorüber; seine Positionsscheinwerfer funkelten wie irdische Sterne.
    »Eine ganz gemeine Straße, wahrhaftig«, wiederholte Crandall nachdenklich, fast ausdruckslos, dann wandte er sich Louis zu. Um seinen runzligen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher