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Frieden auf Erden

Frieden auf Erden

Titel: Frieden auf Erden
Autoren: Stanislaw Lem
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erfuhr von mir nichts, sondern versetzte meine beiden Gehirnhalbkugeln in eine so von Eintracht geprägte Wut, daß ich ihn beim Kragen nehmen und dem Treppenschacht überantworten konnte.
    Zu solcher Harmonie fand meine dissoziierte Existenz sich vorübergehend zusammen, aber ich habe nach wie vor keine Ahnung, was eigentlich los war.
    Jener Schnösel von Philosoph klingelte mich nachher mitten in der Nacht aus dem Schlaf, weil er glaubte, mir durch die Überraschung mein unaussprechliches Geheimnis entlocken zu können. Er wies mich an, den Hörer mal ans linke, mal ans rechte Ohr zu legen, und es machte ihm gar nichts aus, daß ich ihn mit den saftigsten Kraftwörtern belegte.
    Hartnäckig hielt er an der Behauptung fest, nicht seine Fragerei sei blödsinnig, sondern mein Zustand; dieser stehe in Widerspruch zur gesamten anthropologischen, existentialistischen und zu wer weiß was noch für welcher Philosophie des Menschen als eines vernunftbegabten und der eigenen Vernunft bewußten Wesens. Dieser Student mußte gerade die Prüfungen hinter sich haben, denn er schüttelte die Hegels und Descartes (Ich denke, also bin ich, nicht aber: Wir denken, also sind wir) nur so aus dem Ärmel. Er fiel mit Husserl über mich her und setzte mit Heidegger nach, um zu beweisen, daß das, was mit mir war, nicht sein konnte, da es sämtlichen Interpretationen des geistigen Lebens widersprach, die wir schließlich nicht irgendwelchen Grünschnäbeln, sondern den genialsten Denkern der Geschichte verdanken. Seit einigen tausend Jahren hatten sie sich, angefangen bei den Griechen, mit der introspektiven Erforschung des Ichs beschäftigt, und plötzlich kommt einer daher, dessen Gehirnhemisphären voneinander getrennt sind! Er scheint gesund wie ein Fisch im Wasser, aber seine Rechte weiß nicht, was die Linke tut, mit den Beinen verhält es sich ebenso, manche Experten sagen, er habe nur ein Bewußtsein auf der linken Seite, weil die rechte ein seelenloser Automat sei, andere behaupten, er habe zwei, aber das rechte sei stumm, weil das Brocasche Zentrum sich im linken Schläfenlappen befinde, dritte wiederum meinen, er habe zwei teilweise getrennte Ichs, und das sei doch absolut der Gipfel!
    »Wenn man nicht teilweise aus dem Zug springen und nicht teilweise sterben kann«, schrie er auf mich ein, »dann kann man auch nicht teilweise denken!« Ich verzichtete darauf, ihn hinauszuwerfen, weil er mir leid tat. Aus Verzweiflung suchte er mich zu bestechen. Er nannte es eine freundschaftliche Spende: 840 Dollar. Er schwor, dies seien seine Ersparnisse für die Ferien, er sei bereit, sie sausenzulassen, einschließlich des Mädchens, das er hatte mitnehmen wollen. Ich sollte ihm um Gottes willen nur bekennen, WER denn dachte, wenn meine rechte Halbkugel dachte, und ICH nicht wußte, WAS sie dachte. Als ich ihn an Professor Eccles verwies, der als Anhänger der Theorie des linksseitigen Bewußtseins die Ansicht vertritt, die rechte Hemisphäre denke überhaupt nicht, äußerte er sich sehr abfällig über den Mann. Er wußte ja bereits, daß ich der rechten Hälfte nach und nach die Taubstummensprache beibrachte, und so forderte er mich auf, zu Eccles zu gehen und ihm zu sagen, daß er im Irrtum sei. Statt die Vorlesungen zu besuchen, vertiefte sich der Student in medizinische Zeitschriften, er hatte schon herausgefunden, daß die Nervenbahnen sich kreuzen, und suchte nun in den dicksten Wälzern eine Antwort auf die Frage, warum zum Teufel diese Kreuzung erfolgt ist, warum das rechte Gehirn die linke Körperhälfte regiert und umgekehrt, aber davon stand natürlich nirgends auch nur ein Wort. »Entweder hilft uns das beim Menschsein, oder es schadet«, räsonierte er. Beim Studium der Psychoanalytiker fand er einen heraus, der der Ansicht war, in der linken Halbkugel stecke das Bewußtsein, in der rechten hingegen das Unterbewußtsein, aber es gelang mir, ihm das aus dem Kopf zu schlagen. Ich war aus begreiflichen Gründen belesener als er. Da ich mich weder mit mir noch mit einem Burschen schlagen wollte, der vor Wissensgier brannte, ging ich auf Reisen oder ergriff vielmehr die Flucht. Ich fuhr nach New York und kam vom Regen in die Traufe.
    Ich nahm mir in Manhattan ein Appartement, von dem aus ich täglich eine öffentliche Bibliothek aufsuchte, um Yozawitz, Werner, Tucker, Woods, Shapiro, Riklan, Schwartz, Szwarc, Shwarts, Sai-Mai-Halassz, Rossi, Lishman, Kenyon, Harvey, Fischer, Cohen, Brumback und um die dreißig sonstiger
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