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Frieden auf Erden

Frieden auf Erden

Titel: Frieden auf Erden
Autoren: Stanislaw Lem
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per Kallotomie (es läßt sich ja auch nicht erklären, was es heißt, eine Natter oder eine Schildkröte zu sein, und wer – wie auch immer – zur Natter oder Schildkröte geworden ist, wird darüber nichts mehr mitteilen, denn Tiere können weder lesen noch schreiben).
    Die normalen Menschen, zu denen auch ich eine beträchtliche Zeit meines Lebens gehörte, können nicht verstehen, wie jemand mit gekappten Gehirnhälften scheinbar weiterhin er selber sein kann, denn danach sieht es doch aus, wenn er sich ICH und nicht WIR nennt, normal auf zwei Beinen geht, ganz vernünftig redet und beim Essen nicht erkennen läßt, daß die rechte Halbkugel nicht im Bilde ist über die Machenschaften der linken (der Ausnahmefall in meinem Fall: der Verzehr von Graupensuppe). Übrigens wird auch behauptet, die Kallotomie müsse bereits bei Entstehung der Heiligen Schrift bekannt gewesen sein. Schon dort stehe ja geschrieben, die Linke solle nicht wissen, was die Rechte tut. Ich halte das für eine religiöse Metapher.
    Zwei Monate lang saß mir ein Typ auf den Hacken, der darauf wartete, daß ich die Wahrheit ausschwitzte. Er machte mir zu den ungelegensten Zeiten seine Aufwartung, um mich auszuquetschen, wieviel ich denn wirklich sei. Die wissenschaftlichen Werke, die ich ihm gab, damit er selber nachlesen und sich informieren könnte, gaben ihm nichts – ebensowenig übrigens wie mir. Ich lieh ihm die Bücher, um ihn abzuwimmeln.
    Damals bin ich losgelaufen, um mir »Slippers« zu kaufen. So hießen doch wohl einmal die Schuhe, die oben auf dem Spann statt der Schnürsenkel Gummieinsätze haben. Mit Schnürsenkeln kam ich nämlich nicht mehr zurecht; ich konnte sie nicht zubinden, wenn meine linke Hälfte nicht spazierengehen wollte. Was die Rechte knüpfte, riß die Linke wieder auf. Daher der Entschluß, Slippers zu kaufen und bei der Gelegenheit gleich noch ein Paar Laufschuhe mitzunehmen, nicht etwa, weil ich meilenweit die Joggingmode mitmachen wollte, sondern um der rechten Gehirnhalbkugel eine Lehre zu erteilen. Ich fand damals einfach keine gemeinsame Sprache mit ihr, mich selbst aber in immer größerer Wut und einem Wust von blauen Flecken. Den Mann im Schuhgeschäft hielt ich für einen simplen Angestellten und das Knurren, mit dem ich mein etwas abwegiges Benehmen zu entschuldigen suchte, demzufolge für angemessen. Eigentlich war es ja nicht mein Benehmen. Kaum lag der Mann mit dem Schuhlöffel vor mir auf den Knien, packte ich ihn bei der Nase. Meine Linke hatte ihn gepackt, und ich suchte mich zu rechtfertigen, das heißt, die Schuld auf diese Linke abzuwälzen. Er mochte mich für verrückt halten (er war nur ein Verkäufer in einem Schuhgeschäft, was weiß so einer über Kallotomien …), aber ich war ziemlich sicher, den Handel zu machen: Er würde mir diese Schuhe letztlich abtreten, weil auch ein Verrückter nicht unbedingt barfuß laufen soll.
    Dummerweise war er jedoch ein jobbender Student der Philosophie, und er war total aus dem Häuschen.
    »Beim Grips des Menschen und der Barmherzigkeit Gottes, Herr Tichy«, dröhnte er mir durch die Wohnung, »nach den Regeln der Logik sind Sie entweder einer oder mehr! Wenn Sie sich mit der rechten Hand die Hose hochziehen und die linke läßt das nicht zu, dann heißt das, daß hinter einer jeden eine bestimmte Gehirnhälfte steckt, die etwas vorhat oder sich zumindest vorzunehmen gedenkt, da sie sich nicht auf das einlassen will, worauf die andere gerade scharf ist. Wäre es anders, so müßten alle Gliedmaßen nach dem Abhauen hand- und beingemein werden, aber das tun sie bekanntlich nicht!«
    Daraufhin gab ich ihm Gazzaniga. Von dem Professor dieses Namens stammt nämlich die beste Monographie über das gekappte Gehirn und die Folgen solcher Operation, der Titel lautet BISECTED BRAIN, erschienen war das alles schon 1970 bei den Appleton Century Crofts , herausgegeben von der Educational Division in Meredith Corporation , und ich wünschte, mir wäre der Bregen wieder so zusammengewachsen, wie ich unter heiligem Eid aussage, daß dieser Michael Gazzaniga ebensowenig eine Ausgeburt meines Hirns ist wie sein Papa, dem er seine Monographie gewidmet hat, der sich Dante Achilles Gazzaniga nannte und ebenfalls Doktor (M. D.) gewesen ist. Wer es nicht glauben will, soll im Laufschritt die nächstgelegene medizinische Buchhandlung aufsuchen und mir meine Ruhe lassen.
    Der Kerl, der mir nachgelaufen war, um herauszukriegen, wie das ist, wenn man zweigeteilt ist,
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