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Frieden auf Erden

Frieden auf Erden

Titel: Frieden auf Erden
Autoren: Stanislaw Lem
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schlugen ihm weibliche Mitglieder des Tierschutzvereins und des Verbandes zur Bekämpfung der Vivisektion regelmäßig die Fensterscheiben ein, und sogar sein Auto war in Brand gesteckt worden. Die Versicherung hatte nicht zahlen wollen, weil sie keinen Beweis sah, daß nicht er selber das Feuer gelegt haben konnte, um an zwei Braten auf einmal zu kommen: die gerichtliche Verfolgung der Tierschützerinnen und materiellen Gewinn (das Auto war schon alt). So ödete er mich an, und damit er endlich aufhörte, erwähnte ich die Gebärdensprache, in der ich mit meiner Rechten der Linken Lektionen erteilte. Ich hatte den Moment schlecht gewählt. Turteltaub griff sofort zum Telefon, um Globus oder Maxwell anzurufen und anzukündigen, er werde in der Neurologischen Gesellschaft einen Fall vorführen, mit dem er sie alle in Grund und Boden stampfen würde. Als ich sah, was sich da zusammenbraute, verließ ich Turteltaub im Laufschritt und ohne Abschied, um direkt in mein Hotel zu fahren. Dort warteten sie schon im Foyer, mit glühenden Gesichtern und glänzenden Augen, alles Ausdruck ungesunder Wissenssucht. Ich versprach, gleich mit ihnen zur Klinik zu fahren, ich müsse mich nur umziehen. Während sie unten warteten, floh ich aus dem elften Stockwerk über die Feuerleiter, schnappte mir das erste beste Taxi und fuhr zum Flughafen. Mir war ganz egal, wohin ich flog, Hauptsache weit weg von diesen Wissenschaftlern. Der nächste Linienflug ging nach San Diego, ich nahm ihn, stieg in einem widerlichen kleinen Hotel, einer echten Spelunke mit diversen finsteren Typen, ab und rief, ohne den Koffer auszupacken, Tarantoga an. Zum Glück war er zu Hause, und ich bat um Hilfe.
    Wahre Freunde erkennt man in der Not. Noch in dieser Nacht traf Tarantoga mit dem Flugzeug in San Diego ein, und als ich ihm alles möglichst schlüssig und präzis erzählt hatte, beschloß er, sich meiner anzunehmen – nicht als Wissenschaftler, sondern als gute Seele. Auf seinen Rat wechselte ich das Hotel und ließ mir einen Bart stehen. Er wollte sich inzwischen nach einem Fachmann umsehen, der den Eid des Hippokrates höher achtete als die Publicity, die sich mit einem interessanten Fall gewinnen ließ.
    Am dritten Tag kam es zu einer Hakelei. Tarantoga hatte konkrete Neuigkeiten gebracht, die für mich gut und tröstlich waren, ich aber erwies ihm meine Dankbarkeit nur teilweise. Er regte sich über mein linksseitiges Mienenspiel auf, denn ich kniff immer wieder anzüglich das Auge zu.
    Ich setzte ihm auseinander, daß dies nicht an mir, sondern an meiner rechten Gehirnhalbkugel lag, über die ich keine Herrschaft hatte, er ließ sich auch ein wenig beschwichtigen, brach aber sogleich wieder in Vorwürfe aus. Es sei durchaus nicht alles in Ordnung, denn selbst wenn in meinem einen Körper meiner zwei steckten, so sei diesen sarkastischen, höhnischen Gesichtern, die ich halbseitig schneide, klar und deutlich abzulesen, daß ich gegen ihn schon vorher zum Teil eine Abneigung gehegt haben müsse, die sich nun als schwärzester Undank entlarve. Er sei der Ansicht, Freund sei man entweder ganz oder gar nicht. Eine fünfzigprozentige Freundschaft liege nicht in seinem Geschmack. Irgendwie konnte ich ihn letztlich doch noch beruhigen, und als er fort war, ging ich mir eine Augenbinde kaufen.
    Einen Spezialisten hatte er für mich erst in Australien auftreiben können, also flogen wir gemeinsam nach Melbourne. Dort hatte Professor Joshua McIntyre einen Lehrstuhl für Neurophysiologie inne, und sein Vater war der beste Freund des Vaters Tarantogas oder gar ein entfernter Verwandter. McIntyre weckte Vertrauen allein durch sein Äußeres. Er war hochgewachsen und hatte das graue Haar zu einer Bürste geschnitten, er strahlte ungewöhnliche Ruhe aus, war sachlich und – wie Tarantoga mir versicherte – menschlich. Es konnte also keine Rede davon sein, daß er mich ausnutzen oder mit den Amerikanern gemeinsame Sache machen wollte, die sich schon die Därme aus dem Leib schwitzten, um mir wieder auf die Spur zu kommen. Die Untersuchung dauerte drei Stunden, dann stellte McIntyre eine Flasche Whisky auf den Tisch, schenkte uns beiden ein, und nachdem damit eine vertraulichere Stimmung hergestellt war, schlug er ein Bein übers andere, sammelte sich und sagte:
    »Herr Tichy, ich werde Sie im Singular anreden, das ist bequemer. Ich habe zweifelsfrei festgestellt, daß Ihnen der große Balken von comissura anterior bis comissura posterior durchtrennt worden ist,
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