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Frieden auf Erden

Frieden auf Erden

Titel: Frieden auf Erden
Autoren: Stanislaw Lem
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erwies, hatte man dem LEM die Haube aufgebrochen und den Sendling herausgerissen, um diesem daraufhin an den Bauch zu gehen. Ich konnte das entsprechende Kabel auf meiner Umlaufbahn nicht abschalten, weil sonst zwar meine Bauchschmerzen, damit aber auch die letzten Kontakte mit meinem Sendling weggewesen wären und ich nicht gewußt hätte, wo ich ihn suchen sollte. Das Mare Serenitatis, wo er in die Falle getappt war, gleicht in etwa der Sahara. Außerdem verwechselte ich immer die Kabel, sie hatten zwar alle eine andere Farbe, aber es waren verdammt viele, die Betriebsanleitung für Notfälle war mir abhanden gekommen, und während ich sie suchte, gesellte sich zu den Schmerzen im Bauch noch die Wut, so daß ich mich, ohne lange die Erde zu fragen, zur Landung entschloß. Man warnte mich natürlich, ich dürfe dies unter keinen Umständen tun, weil ich nicht wieder heil herauskäme, aber es liegt nicht in meiner Natur, Rückzieher zu machen. Außerdem ging es mir um den LEM. Er war zwar nur eine mit Elektronik vollgestopfte Maschine, ein Raub der Roboter sollte er trotzdem nicht werden.
    Ich sehe schon: Je mehr ich erhelle, desto finsterer wird es. Ich will doch lieber ganz von vorn anfangen. Es ist eine andere Sache, daß ich nicht weiß, wie das »ganz vorn« gewesen ist – die Erinnerung dürfte vorwiegend in der rechten Gehirnhälfte stecken, zu der ich keinen Zugang habe. Daher kann ich meine Gedanken nicht zusammennehmen. Ich schließe das daraus, daß ich mich an eine Menge Dinge nicht erinnern kann. Um wenigstens etwas darüber zu erfahren, muß ich der Linken mit der Rechten Zeichen machen, wie sie zur Sprache der Taubstummen gehören. Das verschafft mir durchaus nicht immer eine Antwort, manchmal bekomme ich auch einen Daumen gezeigt, der zwischen Zeige- und Mittelfinger steckt, und das ist noch der höflichste Ausdruck einer abweichenden Meinung.
    Es ist unvermeidlich, daß ich die eine Hand nicht nur gebrauchen muß, um die andere durch Gesten ins Gebet zu nehmen, sondern auch um ihre Widerspenstigkeit zu zähmen. Ich will hier gar nichts verschleiern: Ich würde der eigenen Extremität endlich mal eins überbraten, aber das ist eben der Witz, daß nur der rechte Arm stärker als der linke ist, während die Beine in dieser Hinsicht ebenbürtig sind. Bei mir kommt schlimmerweise hinzu, daß mein rechter Fuß auf der kleinen Zehe ein hochbetagtes Hühnerauge trägt und der linke sehr wohl davon weiß. Als im Autobus jener Skandal passierte und ich die linke Hand mit Gewalt in die Tasche steckte, rächte sich ihr Fuß mit einem solchen Tritt auf die genannte Stelle, daß ich Sterne sah. Ich weiß nicht, ob meine Schreiberei Folge eines durch meine Halbierung hervorgerufenen Intelligenzschwundes ist, aber immerhin merke ich noch, wenn dabei Blödsinn herauskommt: Der Fuß der linken Hand ist eigentlich einfach der linke Fuß. Es gibt Momente, wo mein unglückseliger Leib in zwei feindliche Lager zerfällt.
    Ich habe mich eben unterbrechen müssen, weil ich mir einen Tritt zu geben versuchte, das heißt, der linke Fuß wollte den rechten treten, also nicht ich mich und nicht mich ich, jedenfalls nicht komplett ich – die Grammatik ist auf solche Situationen überhaupt nicht eingerichtet. Ich wollte mir schon die Schuhe ausziehen, ließ es jedoch. Man darf sich selbst in solcher Not nicht zum Narren machen. Ich trete mir doch nicht selber die Hacken kaputt, bloß um zu erfahren, wie das mit der Instruktion und den Kabeln war! Zwar habe ich mich manchmal schon mit mir selber in der Wolle gehabt, aber da herrschten ganz andere Voraussetzungen: einmal, in der Zeitschleife, als Früherer mit dem Späteren, nachher durch die Vergiftung mit Benignatoren. Ja, ich hatte mich selber geschlagen, war aber dabei unteilbar ich geblieben, und jeder, der es nur wünscht, kann sich in diese Lage versetzen. Hatten sich die Menschen im Mittelalter nicht zur Buße selber gegeißelt? In meine jetzige Lage aber kann sich niemand versetzen, das ist unmöglich. Ich kann nicht einmal sagen, daß ich zwei bin, denn genau besehen stimmt auch das nicht. Ich bin zwei, das heißt, auch teilweise bin ich nur teilweise, nämlich nicht in jeder Situation. Wenn ihr wissen wollt, was mir passiert ist, müßt ihr alles, was ich schreibe, schön der Reihe nach lesen – ohne Protest und Dazwischengerede, auch wenn ihr nichts davon versteht. Mit der Zeit wird das eine oder andere schon klarwerden, sicher nicht restlos, denn das gelänge nur
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