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Frieden auf Erden

Frieden auf Erden

Titel: Frieden auf Erden
Autoren: Stanislaw Lem
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endgültig abservieren. Sie agieren nach der Kurzschlußmethode, vernichten zuerst, was ihnen Gefahr bringt. Das Mondprojekt ist zwar in aller Stille längst abgeschrieben, aber darum geht es nicht. Wir haben hier einige erstklassige Informatiker, die der Ansicht sind, der Mond beginne sich für die Erde zu interessieren. Das Motto lautet: ›Die Selenosphäre greift in die Biosphäre ein.‹«
    »Also doch eine Invasion?«
    »Nein. Nein, sosehr die Meinungen auch geteilt sind. Nichts im Sinne traditioneller Auffassungen. Es sind viele dienstbare Geister versandt worden, ordentlich in Flaschen verkorkt. Sie haben sich daraus befreit und einander beim Kragen genommen, als Nebenprodukt aber tote Mikroorganismen von gewaltiger Lebenskraft gezeugt. Nach einer vorsätzlichen Invasion sieht das nicht aus, eher nach einer Pandemie.«
    »Da begreife ich nicht den Unterschied.«
    »Ich kann das nur bildlich erklären. Die Selenosphäre verhält sich gegen Eindringlinge wie ein Immunsystem gegen Fremdkörper. Antigene erzeugen Antikörper. Selbst wenn es sich nicht genauso verhält, müssen wir diese Begriffe verwenden, um überhaupt etwas begreifen zu können. Die beiden Kundschafter, die nach dir dort oben waren, verfügten über den neuesten Typ der Bewaffnung. Ich kenne die Einzelheiten nicht, aber es handelte sich weder um konventionelle noch um nukleare Waffen. Die Agentur hält die Vorgänge geheim, aber die Staubwolken auf dem Mond waren so groß, daß sie von vielen astronomischen Observatorien bemerkt und fotografiert wurden. Mehr noch: Nachdem die Wolken sich gelegt hatten, wies das Gelände Veränderungen auf. Trichter waren entstanden, die in nichts den typischen Mondkratern glichen. Die Agentur kann das nicht leugnen, daher hüllt sie sich in Schweigen. Der Stab hat sich erst hinterher an den Kopf gefaßt, als es als möglich angesehen werden konnte, daß man mit einer um so heftigeren Gegenoffensive rechnen muß, je gewaltsamere Mittel der Erkundung eingesetzt werden.«
    »Also doch …«
    »Nein, nein, keinerlei ›doch‹, denn das ist kein Feind oder Gegner, sondern lediglich eine Art gigantischen Ameisenhaufens. Mir sind so kuriose Vermutungen zu Ohren gekommen, daß ich sie lieber nicht wiedergeben will. Wir müssen Schluß machen. Bleib sitzen, wo du sitzt. Solange man nicht restlos den Verstand verliert, bleibst du ungeschoren. Ich verreise für drei Tage, am Sonnabend will ich mich wieder melden, gleiche Stelle, gleiche Welle! Bleib gesund, mein wackerer Missionar!«
    »Auf Wiederhören!« sagte ich, war aber nicht sicher, ob er es noch gehört hatte, denn plötzlich war alles still. Ich nahm die glänzende Olive aus dem Ohr, wickelte sie nach einigem Besinnen in Stanniol und legte sie in eine angerissene Schachtel mit Pralinen. Ich hatte viel Zeit und Stoff zum Nachdenken, mehr aber nicht. Vor dem Schlafengehen zog ich die Vorhänge zurück. Die Nachtfalter waren weg, offenbar hinweggelockt von den beleuchteten Fenstern anderer Pavillons im Park. Der Mond schwamm durch weißliche Federwolken. Da haben wir uns was eingebrockt, dachte ich und zog mir die Decke über den Kopf.
     
    Am nächsten Morgen – ich lag noch im Bett – klopfte Gramer bei mir an. Er sagte, Padderhorn habe am Vortage eine Gabel verschluckt, es sei nicht das erste Mal, daß er Besteckteile zu selbstmörderischen Zwecken benutzt habe. Er stehe unter ständiger Aufsicht, vor einer Woche habe er einen Schuhlöffel geschluckt. Daraufhin sei eine Oesophagoskopie gemacht worden, er habe einen Löffel von einem halben Meter Länge verordnet bekommen, diese Gabel aber wohl heimlich im Speisesaal geklaut.
    »Bist du nur wegen solchen Tafelsilbers gekommen?« fragte ich mit maßvoller Freundlichkeit. Gramer seufzte tief, knöpfte seinen Pyjama bis oben hin zu und ließ sich neben mir in einem Sessel nieder.
    »Nein, nicht nur«, sagte er mit sonderbar schwacher Stimme. »Es steht nicht gut, Jonathan.«
    »Kommt drauf an, für wen«, gab ich zurück. »Ich jedenfalls habe nicht die Absicht, etwas zu schlucken.«
    »Es steht wirklich schlimm«, sagte Gramer noch einmal. Er hatte die Hände über dem Bauch gefaltet und drehte die Daumen umeinander. »Ich habe Angst um dich, Jonathan.«
    »Nur ruhig Blut«, erwiderte ich, schüttelte mein Kopfkissen auf und schob mir ein kleineres unter den Nacken. »Ich stehe unter sicherem Schutz. Du hast doch sicher von den Nekrozyten gehört?«
    Er war so perplex, daß ihm der Mund offenblieb und sein
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