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Frevelopfer

Frevelopfer

Titel: Frevelopfer
Autoren: Arnaldur Indriðason
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aus den Augenwinkeln zu ihrer Mutter hinüberschielten, fanden sie die isländische Kripo alles andere als spannend.
    Elínborgs Tochter war aus ganz anderem Holz geschnitzt als ihre Brüder. Es hatte sich früh herausgestellt, dass Theodóra hochbegabt war, was in der Schule durchaus problematisch werden konnte. Elínborg hatte Bedenken, das Mädchen eine Klasse überspringen zu lassen, denn sie wollte, dass sie mit Gleichaltrigen aufwuchs. Der Lernstoff forderte sie jedoch nicht ausreichend. Das Mädchen war ständig unterwegs, sie spielte Handball, hatte Klavierunterricht, war bei den Pfadfindern. Sie sah nicht viel fern, und im Gegensatz zu ihren Brüdern interessierte sie sich kaum für Kinofilme oder Computerspiele. Sie war dagegen ein echter Bücherwurm und las von früh bis spät. Solange sie klein war, konnten Elínborg und Teddi ihr gar nicht genug Bücher aus der Bibliothek besorgen, doch sobald sie alt genug war, beschaffte sie sich ihren Lesestoff selbst. Sie war nun elf Jahre alt und hatte vor ein paar Tagen versucht, ihrer Mutter den Inhalt von »Eine kurze Geschichte der Zeit« zu erklären.
    Manchmal, wenn sie glaubte, dass die Kinder nicht zuhörten, sprach Elínborg mit Teddi über ihre Arbeitskollegen. Natürlich spitzten die Kinder gerade dann ganz besonders ihre Ohren und wussten daher, dass einer von ihnen Erlendur hieß. Der Mann war ihnen ein Rätsel. Manchmal hatte es den Anschein, als sei ihre Mutter nicht sonderlich glücklich darüber, mit ihm zusammenzuarbeiten, manchmal schien sie nicht ohne ihn auskommen zu können. Die Kinder hatten mehr als einmal gehört, wie Elínborg sich verwundert darüber geäußert hatte, dass ein so schlechter Familienvater und starrsinniger Einzelgänger ein so feinfühliger Kriminalbeamter sein konnte. Sie bewunderte seine Arbeit, obwohl er ihr als Mensch nicht immer sympathisch war. Ein anderer Kollege, über den sie manchmal leise mit Teddi sprach, hieß Sigurður Óli, und die Kinder hatten den Eindruck, dass auch er irgendwie ein ziemlich schräger Vogel war. Es konnte vorkommen, dass ihre Mutter regelrecht aufstöhnte, wenn von ihm die Rede war.
    Elínborg war kurz vor dem Einschlafen, als sie ein Geräusch auf dem Flur hörte. Mit Ausnahme ihres Ältesten, der immer noch vor seinem Computer saß, lagen alle bereits im Bett. Sie wusste nicht, ob er an irgendeiner Aufgabe für die Schule arbeitete oder nur in den Chatrooms unterwegs war. Der Junge würde erst gegen Mitternacht ins Bett gehen. Valþór lebte nach seiner eigenen inneren Uhr, ging erst spät zu Bett und schlief dann oft bis in den Nachmittag hinein, wenn es möglich war. Elínborg machte sich seinetwegen Sorgen, wusste aber, dass es wenig Sinn hatte, mit ihm darüber zu reden. Sie hatte es oft genug versucht, aber er war stur und nicht zu Kompromissen bereit, wenn es um seine Eigenständigkeit ging.
    Den ganzen Abend war ihr der Tote aus dem Þingholt-Viertel nicht aus dem Kopf gegangen. Den Anblick, der sich ihr geboten hatte, hätte sie den Jungen beim besten Willen nicht schildern können. Dem Mann war die Kehle durchgeschnitten worden, Sessel und Tische im Wohnzimmer waren mit Blut bespritzt gewesen. Der genaue Bericht des obduzierenden Arztes stand noch aus. Nach Ansicht der Spurensicherung hatte derjenige, der ihm die tödliche Wunde zugefügt hatte, die Tat gut vorbereitet. Er musste mit dem Vorsatz gekommen sein, ihn anzugreifen. Es gab keinerlei Anzeichen für einen Kampf. Der Schnitt selbst war anscheinend sehr gekonnt ausgeführt worden, quer über den Hals und genau dort, wo er den größten Schaden anrichtete. Am Hals befanden sich weitere kleine Schnittwunden, was darauf hindeutete, dass der Mörder dem Opfer die Tatwaffe eine ganze Weile an die Kehle gehalten haben musste. Sehr wahrscheinlich war der Angriff sehr plötzlich erfolgt und hatte das Opfer überrascht. Die Tür zur Wohnung war nicht aufgebrochen worden, was bedeuten konnte, dass das Opfer sie dem Mörder selbst geöffnet hatte. Es war aber auch denkbar, dass jemand, der mit dem Opfer in die Wohnung gekommen oder sein Gast gewesen war, plötzlich brutal über ihn hergefallen war. Nichts schien gestohlen, nichts war angefasst worden. Deswegen war es unwahrscheinlich, dass man es mit einem Einbrecher zu tun hatte. Die Möglichkeit, dass der Ermordete einen Eindringling überrascht hatte, war jedoch nicht völlig auszuschließen.
    Der Körper des Mannes war fast vollständig ausgeblutet, das Blut auf dem Boden war
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