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Frevelopfer

Frevelopfer

Titel: Frevelopfer
Autoren: Arnaldur Indriðason
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selbstständig gewesen, manchmal sogar aufsässig. Irgendetwas an seiner Art gefiel Elínborg nicht, aber sie wusste nicht, was es war und woher er es hatte. Teddi kam wegen ihres gemeinsamen Interesses für Autos besser mit ihm zurecht.
    »Ja«, antwortete Elínborg auf seine Frage und leerte den Rest aus der Weißweinflasche in ihr Glas. »Ich hatte keine Lust, auch noch eine Soße zu machen.«
    Sie sah ihren Sohn an und überlegte, ob sie ihm nicht doch von ihrem Fund erzählen sollte, kam dann aber zu dem Schluss, dass sie zu müde war, um einen Streit mit ihm zu riskieren. Sie ging davon aus, dass er sich nicht gerade über das freuen würde, was sie in Erfahrung gebracht hatte.
    »Du hattest uns aber für heute Abend Steaks versprochen«, sagte Valþór vorwurfsvoll.
    »Was ist das für eine Leiche, die ihr da gefunden habt?«, fragte der Jüngere, der Aron hieß. Er hatte die Nachrichten gesehen, in denen über den Mord berichtet worden war. Seine Mutter war auch zu sehen gewesen.
    »Ein Mann um die dreißig«, antwortete Elínborg.
    »Wurde er umgebracht?«, fragte Valþór.
    »Ja«, sagte Elínborg.
    »In den Nachrichten wussten sie noch nicht, ob es wirklich Mord war«, sagte Aron. »Angeblich bestand nur der Verdacht auf Mord.«
    »Der Mann wurde ermordet«, sagte Elínborg.
    »Und wer ist es?«, fragte Teddi.
    »Niemand, den wir kennen.«
    »Wie wurde er denn umgebracht?«, wollte Valþór wissen.
    Elínborg sah ihn an. »Du weißt, dass du solche Fragen nicht stellen darfst.«
    Valþór zuckte mit den Achseln.
    »Hat es was mit Drogen zu tun?«, fragte Teddi.
    »Bitte hört jetzt damit auf«, bat Elínborg. »Wir wissen noch gar nichts.«
    Alle in der Familie wussten, dass Elínborg nicht über ihre Arbeit reden durfte. Doch die männlichen Familienangehörigen fanden alles spannend, was mit der Kriminalpolizei zu tun hatte, und wenn sie erfuhren, dass Elínborg an einem komplizierten Fall arbeitete, wollten sie unbedingt etwas über die näheren Umstände erfahren und ihre Kommentare dazu abgeben. Meist verrauchte aber das Interesse, wenn sich der Fall in die Länge zog, und dann hatte Elínborg wieder ihre Ruhe.
    Sie sahen sich mit Vorliebe Krimiserien im Fernsehen an, und als die beiden Jungen noch kleiner gewesen waren, hatten sie es spannend gefunden, dass ihre Mutter bei der Kriminalpolizei arbeitete, genau wie diese tollen Typen im Fernsehen. Sie mussten jedoch ziemlich bald feststellen, dass einiges von dem, was ihre Mutter ihnen erzählte, keineswegs mit dem übereinstimmte, was sie vom Bildschirm kannten. Die Krimihelden waren smart und sahen aus wie Models, sie konnten schießen wie die Weltmeister und lieferten sich schlagfertige Wortgefechte mit aalglatten Gangstern. Sie lösten die schwierigsten Fälle im Handumdrehen und gaben zwischen ihren atemberaubenden Verfolgungsjagden Zitate aus der Weltliteratur zum Besten. Grauenvolle Morde waren an der Tagesordnung, manchmal sogar zwei oder drei in einer Folge, aber der Schurke wurde zum Schluss immer geschnappt und erhielt seine verdiente Strafe.
    Die Jungen wussten inzwischen sehr genau, dass sich ihre Mutter für den mickrigen Lohn verdammt abrackern musste, wie sie immer sagte. Und an irgendwelchen Verfolgungsjagden hatte sie noch nie teilgenommen. Sie besaß keine Pistole, ganz zu schweigen von einem Karabiner, denn die isländische Polizei trug keine Waffen. Die Kriminellen waren zumeist verkrachte Existenzen oder Loser, wie Sigurður Óli sie nannte, und die meisten waren schon mehrfach mit der Polizei in Berührung gekommen. Einbrüche und Autodiebstähle waren die häufigsten Straftaten – und natürlich Körperverletzungen. Für die Drogendelikte war das Rauschgiftdezernat zuständig. Schwere Verbrechen wie Vergewaltigungen landeten auf dem Tisch von Elínborg. Morde passierten selten, obwohl das von Jahr zu Jahr variierte; manchmal gab es in einem Jahr keinen einzigen Mord, im nächsten konnten es vier sein. Aus der Sicht der Polizei war die Entwicklung in den letzten Jahren besorgniserregend, die Verbrechen waren organisierter, es waren häufiger Waffen im Spiel, und die Gewalttaten wurden immer brutaler.
    Wenn Elínborg abends todmüde nach Hause kam, schaffte sie es meist gerade noch, ein warmes Essen auf den Tisch zu bringen und an Rezepten zu feilen, denn Kochen war ihre Leidenschaft. Wenn sie dazu keine Kraft mehr hatte, legte sie sich aufs Sofa und schlief vor dem Fernseher ein.
    Wenn die Jungen während einer der Krimiserien
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