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Frevel: Roman (German Edition)

Frevel: Roman (German Edition)

Titel: Frevel: Roman (German Edition)
Autoren: Stephanie Parris
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Bild könne verschwinden, bevor er Zeit hätte, es auf Papier festzuhalten. Er nimmt die Feder und zeichnet, den Kristall immer noch eindringlich betrachtend, das astrologische Symbol des Planeten Jupiter und hält es uns zur Begutachtung hin.
    Ich erstarre. Dee, dessen Hand nach wie vor auf meinem Arm ruht, spürt es und dreht sich halb zu mir um, um mich mit fragend hochgezogenen Brauen zu mustern. Ich bemühe mich, eine unbeteiligte Miene zu wahren. Das Zeichen des Jupiter ist mein Code, meine Unterschrift sozusagen; es ersetzt meinen Namen als Beweis dafür, dass meine Nachrichten und Informationen wirklich von mir stammen. Nur zwei Menschen auf der Welt wissen dies: ich selbst und Sir Francis Walsingham, der erste Staatssekretär und Geheimdienstchef Ihrer Majestät. Das Zeichen kommt in der Astrologie häufig vor, und Kelley hat es sicherlich zufällig gezeichnet, trotzdem betrachte ich seinen Hinterkopf mit wachsendem Argwohn.
    »Auf die gegenüberliegende Seite«, fährt Kelley fort, »malt er etwas anderes.« Auch das überträgt er auf das Papier; die Feder kratzt träge über das Blatt, als verrinne die Zeit zäher, während er die Offenlegung des Bildes in den Tiefen des Kristalls beobachtet: diesmal das Symbol des Saturn – ein Kreuz mit einem geschwungenen Schweif.
    Dees Atemzüge beschleunigen sich, als er das Papier nimmt und mit zwei Fingern dagegenschnippt.
    »Jupiter und Saturn. Die Große Konjunktion. Ich denke, Ihr versteht, Bruno?« Ohne meine Antwort abzuwarten, wendet er sich ungeduldig an Kelley. »Ned – was tut der Geist jetzt?«
    »Er öffnet den Mund und bedeutet mir zuzuhören.«
    Kelley verstummt und verharrt regungslos. Einige Momente verstreichen.
    Dee beugt sich voller Erwartung vor, so als würde er von einem straff gespannten Seil gehalten und schwanke zwischen dem Wunsch, sich auf seinen Wahrsager zu stürzen und ihn zu schütteln, und der Furcht davor, ihn in die Enge zu treiben. Als Kelley endlich weiterspricht, klingt seine Stimme verändert, irgendwie dunkler, und er verkündet wie in Trance:
    »›Alle Dinge haben nahezu ihre Vollendung erreicht. Die Zeit selbst soll verändert werden, und seltsam sollen die entstehenden Wunder sein. Wasser soll in Feuer vergehen und eine neue Ordnung daraus entstehen.‹«
    Hier bricht er ab und stößt einen langen, zittrigen Seufzer aus. Dees Griff um meinen Arm verstärkt sich. Ich weiß, was er denkt. Kelley fährt in demselben unheilvollen Ton fort: »›Die Hölle selbst wird der Erde überdrüssig werden. Zu dieser Zeit wird sich einer erheben, der genannt werden wird der Sohn des Verderbens, der Herr des Irrtums und der Prinz der Finsternis, und er wird viele durch seine magischen Künste in die Irre führen, sodass es scheinbar Feuer vom Himmel regnet und der Himmel die Farbe von Blut annimmt. In Kaiserreichen, Königreichen, Fürstentümern und Staaten werden Umstürze stattfinden, Väter werden sich gegen Söhne und Brüder gegen Brüder wenden. Es wird Aufruhr geben unter der Bevölkerung der Erde, und Blut wird durch die Straßen der Städte strömen. Daran sollt ihr das Ende der alten Ordnung erkennen.‹«
    Er hält inne und lässt sich schwer atmend auf seine Fersen sinken. Seine Brust hebt und senkt sich, als sei er eine Meile in der Hitze gerannt. An meiner Seite spüre ich, wie Dee, der immer noch mein Handgelenk umkrallt, zittert; ich spüre, dass er nach weiteren Worten des Geistes lechzt, den Wahrsager stumm drängt, nicht hier aufzuhören, aber aus Angst, den Bann zu brechen, nicht wagt, laut zu sprechen. Ich selbst behalte mir Bedenken vor.
    »›Doch Gott hat eine Medizin für das Leiden der Menschen‹«, deklamiert Kelley in demselben Ton und setzt sich so plötzlich auf, dass wir beide zusammenschrecken. »›Es wird sich zugleich ein Prinz erheben, der im Licht von Vernunft und Logik herrscht, der die Dunkelheit der alten Zeiten vertreibt, und mit ihm wird die Veränderung der Welt beginnen, und so wird er einen Glauben einführen, eine alte Religion der Einheit, die den Zwistigkeiten ein Ende setzt.‹«
    Dee klatscht vor Freude in die Hände und dreht sich mit leuchtenden Augen und der Begeisterung eines Kindes zu mir um. Es fällt schwer zu glauben, dass er in seinem sechsundfünfzigsten Herbst steht.
    »Die Prophezeiung, Bruno! Was kann das anderes sein als die Prophezeiung der Großen Konjunktion, des Endes der alten Welt? Ihr seht das ebenso klar wie ich, mein Freund – dank der guten Dienste von Master
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