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Freuet Euch, Bernhard kommt bald!: 12 unweihnachtliche Weihnachtsgeschichten (German Edition)

Freuet Euch, Bernhard kommt bald!: 12 unweihnachtliche Weihnachtsgeschichten (German Edition)

Titel: Freuet Euch, Bernhard kommt bald!: 12 unweihnachtliche Weihnachtsgeschichten (German Edition)
Autoren: Harald Martenstein
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auf einige Meter Abstand geachtet. »Ich bin ein schwieriger Mandant«, habe ich zur Begrüßung gesagt. »Aber interessant!« Sie sagte, dass sie auch diesen Eindruck habe.
    Von da an haben sie mich in der Presse »Hannibal Christmas« genannt. Schon vor dem ersten Verhandlungstag war die Verfilmung unter Dach und Fach. Ziemlich vordergründig, der Film, wenn Sie mich fragen. Der Regisseur wollte mit mir reden, aber nur über Video. Die Versicherung hat das verlangt. Ich sagte, dass er sich mal die Geschichte von Sodom und Gomorrha durchlesen soll, da haben wir zwei Städte komplett ausradiert, weil sie vom rechten Wege abgekommen waren. Im Vergleich dazu bin ich ein Waisenknabe. Im Grunde bin ich nicht viel mehr als ein brennender Dornbusch. Sogar wir da oben sind ein bisschen liberaler geworden im Strafvollzug.
    Es kamen auch zwei, drei Pfarrer. Wahrlich, wahrlich, mit diesen Leuten ist schwer reden. Gott sei Liebe, ich würde die Frohe Botschaft falsch verstehen. Da antwortete ich, ja, stimmt, aber Liebe darf keine Einbahnstraße sein. Ich habe den beredsamsten Pfarrer, der auch der unvorsichtigste war, ins Himmelreich geschickt.
    Der Prozess dauerte wochenlang, obwohl ich geständig war und kooperativ. Da wurde jeder einzelne Fall noch mal im Detail aufgedröselt. Was das bringen sollte, weiß ich nicht. Damit hat man die Angehörigen meiner Ansicht nach nur unnötig aufgewühlt. In meinem Schluss wort habe ich noch einmal darauf verwiesen, dass die Welt vom rechten Wege abgekommen ist und dass man sich aus der Weihnachtsgeschichte nicht immer nur die Rosinen rauspicken darf. Ich sei zur Welt gekommen, um die Sünden der Menschen auf mich zu nehmen, denen ich, um ein gewisses Problembewusstsein zu schaffen, ein paar weitere, im Gesamtkontext der Weltgeschichte völlig belanglose Sünden hinzugefügt hätte. Eine andere Wahl habe ich doch gar nicht gehabt. Wenn ich bloß Reden gehalten und ein paar Börsianer aus dem Börsentempel vertrieben hätte, dann hätten solche kleinen Normverstöße doch keinerlei Effekt gehabt.
    Ich verlangte die Höchststrafe. Meine Anwältin, die ein bisschen Angst vor mir hatte, verlangte ebenfalls die Höchststrafe. Stattdessen wurde ich freigesprochen und in ein stark gesichertes Krankenhaus eingewiesen.
    Seitdem bin ich viermal ausgebrochen, immer zu Weihnachten. Ich habe meine Richter ins Himmelreich geschickt, die psychiatrische Gutachterin, den Koch aus dem Untersuchungsgefängnis und zwei Kardinäle. Nur die Kommissarin habe ich in Ruhe gelassen, die hat ja nur ihre Pflicht getan.
    Es ist aussichtslos. Jedes Mal, wenn ich mich am 27. Dezember stelle, weisen sie mich wieder ein. Dann ist die Tür jedes Mal etwas dicker und die Fenster sind noch stabiler vergittert, ich kriege noch stärkere Medikamente. Aber das nützt gar nichts, eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Gitter mich aufhält. Die Idee, sich zu opfern für die Sünden der Menschheit, funktioniert nicht mehr. Klar, ich könnte mich selbst ins Himmelreich schicken. Aber das entspricht nicht meinem Auftrag und würde dem Sinn der ganzen Aktion völlig zuwiderlaufen. Ich mache weiter. Ich verlange die Höchststrafe. Tausend Jahre sind wie ein Tag, wissen Sie.
    Ihr macht euch falsche Vorstellungen. Ihr stellt euch vor, dass wir anders sind als ihr. Besser. Perfekt. Eine idealisierte Version. Und dann macht ihr euch philosophische Gedanken darüber, warum eure Welt nicht perfekt ist. Warum lässt euer Schöpfer, wie immer ihr ihn im Einzelfall nennt, all diese Scheiße zu? Die Verkehrsstaus, die Verbrechen, jede Menge Versuchungen? Ist euch schon mal der Gedanke gekommen, dass wir einander ähnlich sind? Ihr schmeichelt euch doch selbst mit der Idee, dass ihr nach unserem Vorbild geschaffen seid.
    Wir sind nicht gut, wir sind nicht böse, wir sind wie ihr. Wir tun unser Bestes. Wir schaffen euch Möglichkeiten. Wir mögen euch. Von uns kriegt ihr Wind unter die Flügel, solange ihr nicht zu sehr nervt. Aber ihr müsst wirklich auch ein bisschen mitmachen.
    Ich bin nicht allwissend. Ob mein sogenannter Vater noch jemanden über sich hat oder ob er wirklich die letzte Instanz ist – das weiß ich nicht. Unsere Technik ist viel weiter entwickelt als eure. Nichts spricht dagegen, dass irgendwer über noch bessere Möglichkeiten verfügt, und dass wir genauso arme Würstchen sind wie ihr. Aber darüber machen wir uns selten Gedanken.
    Mein sogenannter Bruder war ein Theoretiker. Der hat ein richtiges
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