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Fressen ihn die Raben - Alpen Krimi

Titel: Fressen ihn die Raben - Alpen Krimi
Autoren: Prolibris Verlag Rolf Wagner
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dein Ohrring hat mich drauf gebracht. Und dein Ausreißen mit achtzehn. Tibet sagtest du, dann wurdest du konkreter und hast Sikkim genannt. So oder so, in der tibetischen Kultur kennst du dich aus. Da schau«, sie legte der jungen Frau die Farbkopien vor, »wie die Leute da gekleidet sind! Der Schmuck ist wie bei dir. Und die Musik, diese Trompeten und Zimbeln und Gesänge, die hab ich doch hier oben auch schon gehört. Da stand ich unter deinem Fenster. Du musst da die gleiche DVD geschaut haben. Ein beeindruckender Film über das Leben des Dalai Lama bis zu seiner Flucht nach Indien. Wunderbare Szenen und Farben, das war wie ein Rausch.« Sie legte den kleinen, zylinderförmigen Türkis auf die Tischplatte und rollte ihn hin und her. Bilder stiegen in ihr auf und erfüllten sie. »Lha Gyalo«, murmelte sie versonnen, und doch laut genug, dass Moni es hörte, »Lha Gyalo, den Göttern den Sieg.«
    »Wird das jetzt nicht etwas zu viel?«, herrschte die sie an und schlug mit der Hand auf den Tisch. »Zuerst diese Geschichte um die Pacht, meinen Vater und all das und nun auf einmal Tibet?«
    »Sikkim«, verbesserte Elke ruhig. »Du wirst das verkraften können, denke ich, es hat ja auch alles mit dir zu tun. Also in Sikkim, wo hast du dort gelebt, mit achtzehn, ohne ausreichend Geld und allein? Das wollte ich dich schon die ganze Zeit fragen.« Sie tipp te auf die Farbkopien. »In der Bücherei hab ich mich erkundigt. Die Region ist für Touristen gesperrt. Da braucht man eine Sondererlaubnis der indischen Regierung. Gab es die für dich?«
    Moni lächelte und fingerte an ihrem Ohrring. »Ich war auf einem LKW«, erinnerte sie sich leise, »mit einer Ladefläche voller Scha fe und ich mittendrin. Der Fahrer hat mich einfach so mitgenommen. No problem , hat er gesagt. Doch kaum waren wir über die Grenze zur autonomen Region, wollte er Geld sehn. Ich hatte nicht genug, um ihn zu bezahlen, und brauchte ja auch noch was zum Leben. Er wurde wütend und drohte mir fluchend, mich an die indischen Soldaten zu verraten. Da hab ich meinen Rucksack geschnappt und bin direkt hoch in die Berge gerannt. Das war ich ja gewohnt. Er hat nicht einmal versucht, mich einzuholen.« Bei der Erinnerng daran musste sie lächeln.
    »Zwei Tage hab ich niemanden getroffen, bis ich zu einem Dorf kam. Ich hatte Hunger, Durst und war völlig erledigt. Auf einem Plateau war das, umgeben von noch höheren Gipfeln. Doch die Leute wollten mich nicht zu sich lassen, haben mit Steinen nach mir geworfen und versucht, mich zu verscheuchen. Ich bin dann zusammengebrochen, die Erschöpfung war wohl zu groß. Da ha ben sie mich in ein Haus getragen. Einer von ihnen konnte Englisch. Ich hab ihm von der Flucht vor den Soldaten erzählt, danach ha ben sie sich beraten. Ich durfte bleiben, wenigstens für einige Zeit. Für mich war das wunderbar«, Moni rollte die Augen und ihr Gesicht hellte sich auf, »ich war unter Tibetern. Das war mein Traum. Die Leute waren so still und zurückhaltend. Nur die Kinder scheuten keinen Kontakt.«
    »Du hast dich da auf dem Plateau versteckt und ausgeharrt, am Ziel deiner Wünsche.« Elke rekapitulierte. »Das ist für eine achtzehnjährige Weltenbummlerin sicher ein Wahnsinnsgefühl. Aber wir müssen doch noch mal über den Wiesbeil reden. Seine Leiche wurde ja zerteilt, Kopf, Arm, Hand sind hier im Steinernen Meer verteilt worden.« Sie ließ die Worte nachklingen, dann setzte sie wieder ein.
    »Dieser Film über den Dalai Lama, Kundün , hat eine Szene, wo Männer die Leiche seines Vaters zerschneiden. Geier hüpfen umher und werden mit den Innereien gefüttert. Ein Arm wird ihm abgetrennt, man sieht das in Andeutung. Die Stelle wirst du kennen. Ich fragte mich, wie ich deinen Aufenthalt auf dem Hochplateau in Sikkim, den Film und Wiesbeils Zerteilung übereinander bekomme. Und da hast du mir geholfen.« Moni blickte ungläubig.
    »Ja, als ich dir das erste Lha Gyalo zuwarf, wollte ich auch von dir wissen, ob es da in Nordindien auch Ragyapas gibt. Du bist erschrocken und auch ganz weiß geworden. Also kanntest du die Bedeutung der Worte.« Elke zog aus den Papieren die Schwarzweiß- Kopie eines Fotos hervor. Zwei Männer in Filzröcken, mit seitlich hochgebogenen Spitzkappen und großen Messern in der Hand beugten sich über einen einbandagierten Körper, der auf felsigem Boden lag. Im Hintergrund schienen Geier hockend zu warten. Sie tippte auf das Bild. »Das tibetische Volk der Zerschneider, die unreinen Ragyapas, bei
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