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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind
Autoren: A Hollinghurst
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– Cecil Va lance’ Enkel!«
    »Wenn Sie den ganzen Kram glauben wollen«, sagte sie kopfschüttelnd und lachte. »Oh Gott!«
    Sie gingen zu den getrennten Garderobenräumen, danach wartete er bei den Säulen in der Eingangshalle auf sie; die Lichter brannten, und ein Blick durch die Glastür zeigte, dass sich bereits der Abend der Straße bemächtigt hatte. Sie kam zurück, lächelte belustigt, die Gefälligkeit gerne annehmend, leicht errötet, doch eindeutig, sogar entschlossen wieder auf die Gegenwart eingestimmt. Ihr Mantel war lang, dunkel, aus einem weichen, knittrigen, schimmernden Stoff, etwas extravagant und, so wie ihre restliche Kleidung, modisch auf seine eigene Art. »Schon komisch, Paul Bryant nach so vielen Jahren wiederzusehen«, sagte sie wieder in ihrem trockenen Ton, als sie durch das Foyer schritten.
    »Oh, ja«, sagte Rob, der froh war, dass sie ihr Versprechen nicht vergessen hatte.
    »Eigentlich sollte ich das nicht sagen …«
    »Ach, nein?«, sagte er, fing ihren schadenfrohen Blick unter dem blumengeschmückten Hut auf und registrierte benommen den im Gegensatz dazu unterkühlt nüchternen Blick des Portiers in Nadelstreifenhose. »Er war ja schon immer ein ziemlicher Fantast, unser Paul. Über seinen Vater hat er die rührseligsten Geschichten verbreitet, er sei Kampfpilot gewesen, gegen Kriegsende abgeschossen – irgend so was.«
    »Erinnern Sie sich nicht genauer?«
    »Das müssen Sie schon ihn fragen. Die Geschichte variierte jedes Mal. Das fiel meiner Tante und mir auf, sie fand das seltsam, sie hatte einen gnadenlosen Blick für jede Art von Geschwätz.«
    »Sie meinen jetzt Corinna, nicht?«
    »Ja. Jedenfalls stellte sich heraus, dass er nie einen Vater gehabt hatte, er war ein uneheliches Kind«, sagte sie auf ihre direkte Art. »Seine Mutter hatte während des Krieges in einer Fabrik gearbeitet und wurde dort von jemandem schwanger. Es gab auch die Geschichte, sie sei krank oder so, ich weiß nicht mehr. Das stimmte vielleicht sogar, aber von dem Zeitpunkt fing man an, alles, was er von sich gab, mit Vorsicht zu genießen.«
    Rob sah zum Portier, dessen starrer Blick jetzt zwischen Empörung und Gleichgültigkeit pendelte. Seiner Meinung nach sprach das nicht unbedingt gegen Bryant, im Gegenteil, es machte ihn, wenn überhaupt, faszinierender und sympathischer. »Sagten Sie nicht, er sei früher Bankangestellter gewesen?« (Er hatte die Beispiele T. S. Eliot und P. G. Wodehouse vor Augen.)
    »Früher, ja, in der Bank meines Onkels. Aber was ich noch vergessen hatte zu erwähnen: Das wirklich Ärgerliche war, dass mein Onkel ihn entlassen musste. Ich glaube, Bryant kann von Glück sagen, dass die Sache nicht vor Gericht gelandet ist.« Sie gingen nach draußen, die Treppe hinunter, und sogleich umfing sie die Kälte der Pall Mall, Scheinwerfer, Autos, kurz abbremsend, auf sie zukommend, die grelle unpersönliche Hektik Londons. »Irgendeine Mauschelei. Er ist ziemlich clever vorgegangen, unser Paul Bryant – er ist immer noch clever, auf seine schräge Art. Ich glaube, es war schwierig, ihm etwas nachzuweisen, aber Onkel Leslie hatte keine Zweifel, und soweit ich weiß, hat es Paul selbst kaum überrascht, dass er gefeuert wurde. Ich schrieb damals gerade an meiner Doktorarbeit, und er schickte mir eine Karte, einfach so, aus heiterem Himmel, um mir mitzuteilen, er werde aus dem Bankgeschäft aussteigen und nun eine Laufbahn als Schriftsteller einschlagen.«
    Rob sah sich um und sagte leicht belustigt: »Um mehr Zeit für seine Familie zu haben.«
    »Um mehr Zeit für meine Familie zu haben, wie sich zeigte«, erwiderte Jennifer.
    »Der Rest ist Biografie«, sagte Rob mit einem weisen Grinsen, als das Taxi, das er herbeigewinkt hatte, vor ihnen zum Stehen kam und er ihr die Tür öffnete.

2
    W as für Rob immer nur Raymonds war, hieß eigentlich Ch adwick’s, Antiquitäten und Gebrauchtwaren, und war ursprünglich, vor hundert Jahren, ein Bekleidungsge schäft, das vornehmste in ganz Harrow. In dem abgetretenen Fußbodenmosaik vor der zurückgesetzten Eingangstür waren noch immer die Worte Madame Claire zu lesen, die das kaum mehr erkennbare Modes einkreisten. Die beiden breiten Schaufenster, in die einst kopflose Mannequins gestellt wurden – Hüte auf extra Ständern, wie Kuchen dargeboten –, waren jetzt mit alten Möbeln verbarrikadiert, bretterver schlagenen Garderobenrückseiten, übereinandergestellten Tischen, zwischen denen manchmal ein Einzelstück nüchtern der
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