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Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Titel: Fremde Schwestern: Roman (German Edition)
Autoren: Renate Ahrens
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Waldbrände in Portugal und Kanada. Kein geeignetes Programm für eine Siebenjährige. Aber wohin mit ihr, wenn ich die Nachrichten sehen will? Ich habe nur zwei Zimmer. In mein Bett kommt sie nicht. Schon allein wegen der Floh- und Läusegefahr.
    Merle ist im Sessel eingeschlafen. Soll ich sie dort sitzen lassen? Oder sie aufs Sofa legen? Sie ist so dünn. Ich werde sie mühelos tragen können. Wird sie schreien, wenn ich sie berühre?
    Ich bringe das Tablett in die Küche. Öffne das Fenster. Schüttele die Steppdecke auf. Merle wacht nicht auf.
    Ich greife unter ihre Schultern, ihre Kniekehlen. Ich hebe sie hoch. Sie ist noch leichter, als ich gedacht habe.
    Plötzlich schlingt sie im Schlaf die Arme um meinen Hals. Sie drückt sich an mich.
    Ich bleibe stehen. Ihr warmer Atem streift mein Gesicht. Ich spüre, wie ihr Herz klopft.
    Ich lege sie vorsichtig aufs Sofa. Merles Arme halten mich immer noch fest. Es dauert einige Sekunden, bis ich mich aus der Umklammerung gelöst habe. Merle wacht nicht auf.

    Viertel nach zwölf. Seit über einer Stunde versuche ich einzuschlafen. Ich drehe mich auf den Rücken. Ab Montag wird sie woanders untergebracht. Wenn ich nicht bald schlafe. Lydia und ich uns ähnlich? Esther hat mir immer beigestanden. Warum spricht sie so über mich? Muss ich in Zukunft vorsichtig sein? Ich drehe mich auf die Seite. Jan. Kein Anruf. Wir sind verschieden. Haben es immer geschafft, uns zu respektieren. Sein Kommentar zu meinen Haaren. Wollte es wiedergutmachen. Was eigentlich? Eine Distanz ist geblieben. Ich drehe mich auf den Bauch. Esther und Jan. Niemand steht mir näher. Mehr Unterstützung, nicht nur praktische Hilfe, das hätte ich mir erhofft. Die Kleidung. Das Eis. Ein paar Murmeln. Hätte mich wehren müssen gegen die Kritik.

    Das Klappern einer Tür weckt mich. Wo bin ich? Was ist passiert? Viertel vor drei. Lydia. Hat Merle die Wohnung verlassen?
    Ich springe auf. Mir wird schwarz vor Augen. Hinter ihr herlaufen? Die Polizei anrufen? Ein kleines Mädchen in einem geringelten Badeanzug. Allein in der Nacht.
    Ich sehe Licht im Badezimmer. Höre, wie Merle sich übergibt.
    Diesmal ist die Tür nicht verschlossen. Sie kauert vor der Toilette. Mit einer Hand hält sie ihre Haare aus dem Gesicht. Mit der anderen wischt sie über die Fliesen. Sie sieht mich kurz an und drückt auf die Spülung.
    Sie muss sich wieder übergeben. Ich lege ihr den Arm um die Schultern, tupfe ihr das Gesicht mit einem feuchten Waschlappen ab.
    Wir gehen ins Wohnzimmer zurück. Sie rollt sich auf dem Sofa zusammen und zieht die Steppdecke bis unters Kinn. Auf ihrer Stirn steht kalter Schweiß. Ist ihr das viele Essen nicht bekommen? Oder ist sie wirklich krank?
    »Tut dir was weh?«
    Ihr fallen die Augen zu.
    »Ich will dir doch helfen.«
    Ich bleibe auf dem Sofa sitzen. Betrachte ihr bleiches Gesicht. Merle, sprich mit mir. Beschimpf mich. Schweig nicht länger.
    Ihr Kopf sackt zur Seite. Sie ist eingeschlafen.
    Ich stehe auf. Als ich das Zimmer verlasse, nehme ich meine Handtasche mit.

6.
    M orgens um halb acht sitzt Merle auf dem Sofa. Im roten T-Shirt, in Jeans und Sandalen. Die Steppdecke hat sie zusammengelegt.
    »Geht es dir besser?«
    Keine Antwort.
    »Hast du Hunger?«
    Sie schaut auf ihre Füße.
    »Sagen dir deine Füße, ob du Hunger hast?« Meine Stimme bebt.
    Merles Finger wandern übers Sofa.
    Ich verlasse schnell den Raum und schlage die Tür hinter mir zu.

    Die Küchentür öffnet sich. Merle schiebt sich auf einen Stuhl. Sie greift nach einer Scheibe Toast und bestreicht sie mit Aprikosenmarmelade. Ich gieße Pfefferminztee in ihren Becher. Sie schüttelt den Kopf.
    »Willst du lieber Wasser?«
    Wieder schüttelt sie den Kopf.
    »Du musst was trinken. Dein Körper hat in der letzten Nacht viel Flüssigkeit verloren.«
    Wie schafft sie es, diesen Widerstand zu leisten? Sie kann reden. Ich weiß es.
    Für den Rest des Frühstücks schweigen wir.

    Merle schnallt sich nicht an.
    »Wenn du deine Mutter sehen willst, musst du dich anschnallen.«
    Sie rührt sich nicht.
    Ich beuge mich über sie. Ziehe den Gurt heraus. Er läuft quer über den Hals. Sie ist zu klein.

    Ich finde keinen Parkplatz. Wenn wir mit dem Rad gefahren wären. Hätte ich Merle auf den nackten Gepäckträger setzen sollen?
    Ich entdecke eine Lücke in einer entfernten Seitenstraße.
    »Da hätten wir genauso gut zu Fuß gehen können«, sage ich in die Stille hinein.
    Ich drehe mich zu Merle um. Sie sieht durch mich
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