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Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Titel: Fremde Schwestern: Roman (German Edition)
Autoren: Renate Ahrens
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drogensüchtige Schwester und ich?«
    »Bist du sicher, dass sie noch Drogen nimmt?«
    »Nein, aber sie ist genauso realitätsfremd und größenwahnsinnig wie früher. Mit so jemandem willst du mich vergleichen?«
    »Ich habe bei euch beiden immer gedacht, dass ihr dieselbe Sehnsucht habt. Nur eure Wege sind unterschiedlich.«
    »Vielleicht hältst du dich mit psychologischen Analysen besser zurück. Das ist nicht dein Metier.«
    »Ich kann mir vorstellen, dass dir das nicht gefällt. So wie du Lydia aus deinem Leben herausgeschnitten hast.«
    »Was heißt hier herausgeschnitten? Du hast mitbekommen, wie ihre Sucht uns alle bestimmt hat. Als sie sich an Simon herangemacht hat, war für mich das Maß voll.«
    »Ich will nur sagen, dass sich vielleicht in der Rückschau manches anders darstellt.«
    »Was?«
    »Du hast mal gesagt, dass du Lydia früher sehr geliebt hast.«
    »Ja, als wir klein waren. Später habe ich sie gehasst.«
    »Auch im Hass seid ihr euch ähnlich.«
    »Nichts verbindet mich mehr mit Lydia! Sie ist mir fremder, als ein fremder Mensch es je sein könnte!«
    »Und warum hast du ihre Tochter bei dir aufgenommen?«
    »Ich sagte dir schon am Telefon, dass es ein Fehler war. Bei mir hat irgendwas ausgesetzt.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Dann lässt du es bleiben. Aber verschone mich bitte mit deinen Analysen.«
    Esther hebt an, noch etwas zu sagen. In dem Augenblick höre ich ein Geräusch im Flur. Ich stehe auf und öffne leise die Tür. Nichts.
    Auf Zehenspitzen gehe ich ins Wohnzimmer, wo Merle, in die Steppdecke eingerollt, auf dem Sofa liegt. Aber am anderen Ende. Hat sie uns belauscht und tut jetzt nur so, als ob sie schliefe?
    Mein Blick fällt auf meine Handtasche, die neben dem Schreibtisch steht. Wieso habe ich nicht früher daran gedacht?
    In meinem Portemonnaie sind hundertfünfzig Euro. Waren es nicht zweihundertfünfzig? Ich kann mich nicht genau erinnern. Nein, sage ich mir, es fehlt nichts. Aber sicher bin ich nicht.
    Als ich in die Küche zurückkomme, steht Esther bereits an der Tür. Sie sagt, dass ich mich melden solle, wenn ich Hilfe benötige.
    Ihren Tee hat sie nicht ausgetrunken.

5.
    M erle kommt in die Küche. Mit beiden Händen hält sie die Handtuchzipfel fest. Vor dem Tisch mit den Kleidungsstücken bleibt sie stehen.
    »Die sind für dich. Eine Freundin von mir hat sie vorhin vorbeigebracht. Vielleicht hast du ihre Stimme gehört.«
    Sie verzieht keine Miene.
    »Ihre Tochter Ann-Kristin leiht dir diese Sachen, bis wir für dich was gekauft haben. Hoffentlich passen sie dir.«
    Merles Augen leuchten für einen Moment. Dann wendet sie sich von dem bunten Kleiderstapel ab und starrt an die Wand.
    Ich verlasse die Küche. Setze mich an meinen Schreibtisch. Irgendwann wird Merle sich nicht mehr zurückhalten können, ein T-Shirt, die Shorts oder sogar den Rock anziehen. Niemand mag auf Dauer nur mit einem Handtuch bekleidet durch die Gegend laufen. Nicht mal ein Kind, das in Nepal gelebt hat.
    Arbeiten kann ich nicht. Ich beantworte Briefe. Schreibe eine Mail an die Redakteurin. Leider muss ich die Abgabe des Exposés aufgrund familiärer Umstände verschieben. Bei den Wörtern familiäre Umstände gerate ich ins Stocken. Versuche, eine unverfänglichere Formulierung zu finden. Aber nichts hat so viel Gewicht wie die Familie. Ich weiß nicht, wie viel Aufschub ich benötigen werde.
    Eine halbe Stunde später gehe ich in den Flur. Durch die geöffnete Küchentür sehe ich Merle im geringelten Badeanzug auf dem Stuhl sitzen. Sie streicht mit den Händen über die T-Shirts und den Rock. Stoffe scheinen es ihr angetan zu haben.
    »Passt gut, der Badeanzug«, rufe ich und lächele.
    Merle zieht die Augenbrauen hoch.
    Ich will nicht weiter nur mit mir selbst reden. Nehme die Unterwäsche, die Söckchen, die Hosen. Trage sie ins Wohnzimmer. Ich habe ein Regalbrett für Merle leer geräumt. Sie folgt mir mit den T-Shirts und den Sandalen.
    »Danke.«
    Sie stellt die Sandalen neben das Bilderbuch.
    Ich schmiere ein paar Käsebrote. Schneide Tomaten auf. Schenke uns Wasser ein. Merle schaut mir zu. Ich stelle alles auf ein großes Tablett. Wir gehen ins Wohnzimmer. Sie spricht nicht. Ich schalte den Fernseher ein. Das heute-journal hat gerade begonnen.
    Sie legt ihre Stoffserviette auf die nackten Beine. Greift nach einem Käsebrot. Verfolgt aufmerksam die Berichte über einen Angriff auf amerikanische Soldaten in Bagdad. Über Pläne zur Gesundheitsreform in Deutschland. Über
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