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Fremde am Meer

Fremde am Meer

Titel: Fremde am Meer
Autoren: L Olsson
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seine Gaben anzunehmen. Und ich ihm das Verweilen ganz sicher nicht erlaubt hätte. Aber inzwischen war ich dankbar für seine Aufmerksamkeiten, materielle wie sonstige. Es kam vor, dass ich seinen Blick für einen ganz kurzen Moment festhielt. Doch nie folgte eine offene Reaktion. Er ergriff keine Initiative, machte keinen Schritt auf mich zu. Bis auf das unsichere Stehenbleiben auf meiner Schwelle.
    Es gab noch andere Nachbarn, die mir Fisch oder eine Languste schenkten. Manchmal sogar Austern und Jakobsmuscheln. Ich vermutete, dass sie mich bemitleideten und glaubten, ich könne mich nicht allein durchschlagen. Wahrscheinlich hatten sie Recht. Viele Jahre lang war mein Haus nur ein Ort gewesen, wo ich nach der Arbeit schlief. Und eine Gedenkstätte für meinen Schmerz, der nicht vergehen wollte. Die Jahre waren ineinander verschwommen. Erst seit ich vorzeitig in den Ruhestand getreten war und mehr Zeit in meine Kunst investierte, hatte ich hier richtig zu wohnen begonnen. Trotzdem war ich immer noch nicht eine von ihnen – ein Mensch, der Zugehörigkeit beanspruchen konnte. Für sie war ich nach wie vor ein Gast. Jemand, um den sie sich kümmern mussten.
    Und das stellte beide Seiten zufrieden.

2
    Seit einiger Zeit erfüllte mich ein wachsendes Gefühl der Dringlichkeit. Es war nicht plötzlich gekommen, sondern langsam und mit so winzigen Schritten, dass ich es anfangs gar nicht bemerkt hatte. Eines Tages jedoch wurde ich mir meiner Unruhe bewusst, des starken Bedürfnisses, Ordnung in mein Leben zu bringen. Nicht um anderer Menschen, sondern nur um meiner selbst willen. Warum, verstand ich eigentlich nicht. Mein Leben war seit Jahren dasselbe, und ich erwartete auch jetzt keine drastischen Veränderungen. Es war nichts geschehen, was dieses Gefühl der Dringlichkeit hätte erklären können.
    Und doch war etwas anders. Ich selbst hatte mich verändert, denn um mich herum war alles gleich geblieben. Vielleicht handelte es sich bloß um eine natürliche Konsequenz des Alterns, des zunehmenden Bewusstseins der Endlichkeit meiner Existenz. Und das war ein unerbittlicher, unausweichlicher Prozess, dem ich mich nicht entziehen konnte. Nicht, dass ich das gewollt hätte. Im Gegenteil, ich begrüßte ihn sogar mit einer Art Vorfreude.
    Wenn ich sage, um mich herum wäre alles gleich geblieben, so stimmt das nicht ganz, denn es gab da diesen Jungen, Ika. Er war in mein Leben getreten, und ich wusste nicht genau, was ich davon halten sollte. Wie es mich beeinflussen würde. Mich schon beeinflusst hatte. Wir sahen uns einmal in der Woche, und ich musste mir eingestehen, dass ich angefangen hatte, mich auf die Donnerstage zu freuen.
    Auch der Ort, an dem ich lebte, erschien mir irgendwie verändert. Vielleicht hatte meine Rastlosigkeit damit zu tun. In der Wahrnehmung meiner selbst und meiner Umgebung hatte sich ein Wandel vollzogen. Ich hatte plötzlich eine Orientierung. Eine Perspektive, die mir vorher gefehlt hatte. Zum ersten Mal in meinem Leben begann ich, mich in einem Kontext zu sehen. Und seltsamerweise hatte ich den Eindruck, dass auch andere mich anders sahen. Nicht in einem realen Sinne – es gab sehr wenige Menschen in meinem Leben –, sondern eher so, dass ich mir möglicher Beziehungen bewusst wurde. Es kam mir vor, als hätte ich bisher nur in geschlossenen Räumen existiert. Bis jetzt hatte es keine Ausblicke gegeben – von drinnen nach draußen oder von draußen nach drinnen. Aber nun schien es, als wäre eine Wand weggerissen worden. Es überraschte mich, dass ich mich nicht ungeschützt fühlte. Und nicht nur das, es erfüllte mich sogar eine unerklärliche Vorfreude. Dieses Aufgehen von Türen und Fallen von Barrieren signalisierte etwas Positives. Vielleicht hoffte ich, dass es mir helfen würde, die Ereignisse in meinem Leben endlich zu ordnen, dass ich sie als Teile eines Ganzen sehen konnte. Es war schwer zu verstehen, warum ich das plötzlich so wichtig fand, wo mir doch zuvor die Möglichkeit, hinter jedem Abschnitt meines Lebens die Tür zu schließen, stets unerlässlich erschienen war.
    Ich wusste, dass sich das alles als vergebliche Mühe erweisen konnte. Ich bin mir nicht sicher, ob sich überhaupt Ordnung in das Leben eines Menschen bringen lässt. Das Leben ist irrational und unlogisch, und das müssen wir akzeptieren und versuchen, uns damit zu arrangieren. Aber vielleicht ist es notwendig, dass wir danach trachten, unsere eigene Geschichte zu verstehen, sie als ein zusammenhängendes
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