Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fremde

Fremde

Titel: Fremde
Autoren: Gardner R. Dozois
Vom Netzwerk:
vorausgegangene. Dann – überraschend – Stille.
    »Huuuuunnn«, sagte Liraun in die Stille.
    Er schüttelte den Schlaf ab und sah zu ihr hinüber.
    Ihre Schenkel waren tropfnaß, ihr Gesicht war aschfahl vor Schmerz.
    Der Diagnostikator, dachte er sofort. Aber obwohl dieser Gedanke so dringend war, stellte er fest, daß er nicht aufstand, um das Gerät zu holen.
    Statt dessen blieb er verwundert sitzen und beobachtete Liraun weiter.
    Sie hatte den Kopf gedreht und erwiderte seinen Blick. Sie studierte ihn eine Weile schweigend, und dann begann sie mit einer gleichmäßigen, leidenschaftslosen Stimme ohne jede Einleitung zu sprechen, als fahre sie mit einer bereits begonnenen Unterhaltung fort.
    »Als du am Alàntene in das Meer-Haus kamst und ich dich sah«, sagte sie, »da wußte ich, daß es unseren Seelen bestimmt worden war, einander zu finden – von dem Volk Unter Dem Meer, das Menschen wachsen läßt, wie die Menschen Blumen und Früchte und Reben wachsen lassen.
    Ich wußte in diesem Moment, daß unsere Leben zusammengewunden worden waren wie Reben an einem Stock, so dicht, daß man nicht sagen kann, wo die eine beginnt und die andere endet. Das sagte mir ein Flüstern von Unter Dem Meer, während ich dich beobachtete; lange bevor du mich sahst, habe ich dich beobachtet. Und ich dachte – ich dachte vieles. Du warst allein. Ich wußte, daß du einer von den Fernen Menschen warst, nicht von dieser Welt, aber ich wußte auch, daß du selbst unter ihnen, den anderen deiner Rasse, immer allein sein würdest. Im Herzen des Alàntene gingst du allein, und niemand berührte dich, und nur ich sah das, nur ich. Weil auch ich immer allein gewesen bin unter meinem eigenen Volk. Und ich dachte: Wie du, so hat auch er nur eint halbe Seele. Und ich dachte: Setze sie zusammen, die beiden Hälften.«
    Sie hielt inne, um sich wiederum den Schmerz herum zusammenzukrümmen, ihre Augen rollten nach innen. Zähl die Wehen mit, beobachte den Abstand, raunte Farbers subzerebrales Hebammentraining ihm zu, aber er kam nicht dazu: Wie Colderidges Hochzeitsgast stand er unter einem Zauber.
    Als sie wieder dazu in der Lage war, ihren Atem zum Sprechen zu benutzen, fuhr sie fort: »Und so nahmst du mich mit. Und ich ließ dich mich mitnehmen. Und weil du mich wolltest, wußte ich, daß das Volk Unter Dem Meer zu dir genauso gesprochen hatte wie zu mir und daß diese Nacht für uns vorausbestimmt war. Ich erwartete nicht mehr als diese eine Nacht, die uns gegeben worden war, die Alàntene -Nacht. Aber du batest mich, wiederzukommen, und das tat ich, und es wurde noch eine Nacht daraus und noch eine. Du batest mich, deinen Herd mit dir zu teilen, und ich tat auch dies, obwohl es gegen unsere Sitten verstieß und Disharmonie mit meinem Volk brachte. Und während all dieser Zeit wagte ich nicht zu hoffen, aus Angst, diese Hoffnung könnte mir genommen werden. Aber dann sagtest du zu mir, daß du mich heiraten würdest, und ich dachte: Hier hast du endlich etwas, das dir gehört, das du behalten kannst.« Wieder eine Wehe – diesmal dauerte es länger, bis es vorbei war, und als sie weitersprach, klang ihre Stimme tief und heiser, als könne sie ihre Stimmbänder nur noch mit äußerster Willensanstrengung kontrollieren: »Und ich war glücklich als deine Frau. Aber als Weinunid kam und du sagtest, daß ich empfangen müßte, war ich verletzt, verletzt davon, daß du nicht die vollen vier Jahre nehmen wolltest, die uns erlaubt waren, die gemeinsam zu leben die Bräuche gestatteten, bevor ich gezwungen war zu empfangen. Ich dachte: Er will dich nicht länger. Er ist deiner müde und wünscht, dich loszuwerden. Aber das waren Gedanken, nicht würdig einer Tochter der Ersten Frau, einer, die die Heiligen Pflichten auf sich nehmen mußte. So rang ich mit meinem Kummer, und schließlich sagte ich mir, daß du mich damit ehrtest, indem du unsere Gnadenjahre ausschlugst. Er wünscht, daß unsere Kinder sofort auf die Welt kommen, dachte ich mir, denn es werden besondere Kinder sein, schön und voller Anmut. Ich sagte mir auch, daß dies alles der Wille des Volkes Unter Dem Meer sein mußte, denn Ihr Wille ist der Wille hinter unseren Taten, und daß unsere Kinder Gefäße der Macht sein würden, Solche-die-den-Glanz-auf-die-Erde-bringen. Und so befand ich mich mit Ausnahme einiger Momente des fehlenden Gleichklanges und der Dunkelheit, wieder im Frieden mit mir selbst. Aber nun …« Sie hielt inne. »Aber nun tust du mir dies an. Nun
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher