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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf
Autoren: Ellen Jacobi
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an.
    Die putzt sich geräuschvoll die Nase.
    Bettina hat Ricarda in der Zwischenzeit offensichtlich erreicht. Sie stellt sich kurz vor und fragt, wo Nelly ist.
    »Nicht in Düsseldorf?«
    Frau Schick hört auf zu schnauben und ist ganz Ohr.
    »Sie ist noch hier?«, fragt Bettina ungläubig.
    »Wo?«, will Frau Schick wissen. »Wo ist sie?«
    Bettina hebt die Hand und bedeutet ihr zu schweigen. »Sind Sie sich ganz sicher?«, fragt sie in Düsseldorf nach. »Danke, Sie haben uns sehr geholfen, und grüßen Sie Becky von uns allen. Sie hat eine fantastische Mutter.«
    Frau Schick stemmt sich energisch nach oben. »Jetzt sagen Sie schon. Wo ist diese fantastische Mutter?«
    »Am Ende der Welt.«
    »Wo soll das denn sein?«
    »Finisterra«, sagt Paolo. »Nelly geht Weg also bis an seine Ende. Sie iste eine sehr kluge Frau.«
    »Ist sie bei Herberger?«, fragt Frau Schick.
    »Nein, allein«, sagt Bettina.
    »So ein dummes Huhn«, erregt sich Frau Schick. »Was stehen Sie alle hier so dumm rum! Marsch, marsch und Ultreia! Da vorne steht der Bus, wir müssen sofort an dieses Ende der Welt. Worauf warten Sie noch?«
    »Auf Hildegard«, sagt Ernst-Theodor schüchtern. »Sie muss an unserem Bus vorbeigelaufen sein. Ich sehe sie nirgends.«
    »Wer den Bus verpasst, hat selbst Schuld, den bestraft das Leben«, entscheidet Frau Schick harsch. Soll die Ikone des neuen Feminismus mal schön allein bis Santiago durchmarschieren. Passieren kann der dabei nicht viel, aber Nelly. Nelly muss dringend auf den richtigen Weg zurück. Nach Santiago.
    Das sieht der Rest der Gruppe ganz genauso. Im Bus entscheiden sie, dass Paolo sie wie geplant in Santiago an ihrem Parador, einem alten Königspalast vis-à-vis der Kathedrale, absetzt und dann allein bis Finisterra durchfährt.
    »Guck mal«, ergänzt Paolo in Richtung von Frau Schick, die störrisch dreinschaut. »Heute ist Pilgermesse. Eine Höhepunkt von Ihre Reise.«
    Nach kurzem Widerstand stimmt auch Frau Schick der vorgeschlagenen Lösung zu. Schließlich muss sie im Parador ganz dringend nach Post fragen. Dem letzten Brief von Thekla.
    »Sehen Sie«, sagt Bettina. »Es wird alles gut. Alles.«
    »Ihr Wort in Gottes Ohr. Ach, übrigens, Paolo?«
    Der Wanderführer eilt zu Frau Schicks Sitz. »Sí?«
    » Was stand überhaupt auf diesem merkwürdigen Stein, auf dem ich vorhin gesessen habe?«
    Paolo zögert.
    »Nun sagen Sie es mir schon.«
    »Señora, das war eine Art Gedächtnis, eine Erinnerung an eine spanische Mann, der es auf den letzten kilómetros nicht geschafft hat bis Santiago.«
    Frau Schick schrickt zusammen. Na so was! Da hat sie sich doch glatt auf einen Grabstein gesetzt. Na, sie hat es überlebt und will immer noch wissen, was genau draufstand.
    »Für meine geliebte Mann. Er starb von unserem gütige Gott umarmt auf die Camino«, übersetzt Paolo stockend.
    Man muss tiefgläubig sein, um den Tod als gütige Umarmung zu verstehen, findet Frau Schick. Aber vielleicht ist ja was dran, falls es diesen Gott denn gibt.
    Trotzdem ist sie froh, dass sie fürs Erste noch einmal davongekommen ist. Gerade heute, wo es noch so viel zu tun gibt.

59.
    Nelly ist nicht am Ende der Welt. Das hat sie in zwei strammen Tagesmärschen von einem Dörfchen namens Negreira aus, das zwanzig Kilometer hinter Santiago liegt, bereits gesehen und hinter sich gelassen. Anders war der letzte Wegabschnitt für sie nicht zu schaffen. Heute muss und will sie schließlich wieder in Santiago sein, um Frau Schick Lebewohl zu sagen. Ganz wie sich das gehört und von ganzem Herzen.
    Becky ist bei Ricarda gut aufgehoben, und Düsseldorf kann warten.
    Eben hat Nelly ein Bus kurz vor den Steintoren von Santiago de Compostela abgesetzt. An das Gebrumm und den Dieselgestank wird sie sich wieder gewöhnen müssen. Daran und an das Gewimmel und den Lärm in Santiagos steinernen Gassen. Die sind zwar schön, aber an einem sonnigen Sonntag kurz vor der Pilgermesse hoffnungslos überlaufen. Nur gut, dass sie ihren Camino nicht hier beendet, sondern den stillen Weg gewählt hat.
    Vorgestern und gestern ist sie gelaufen und gelaufen, über vierzig Kilometer. Bis ans Meer. Der Wind kam von vorn. Sie hat erst das grüne, dann das maritime Galizien kennengelernt, das sich in der Abenddämmerung mit bitterem Salzgeschmack in ihrem Mund ankündigte. Sie hat das Kap Finisterre im Dunkeln erreicht. Der Leuchtturm auf dem steilen Granitausläufer einer Halbinsel hat ihr den Weg gewiesen, dazu die Sterne und ein blasser Mond,
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