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Frau Schick räumt auf

Frau Schick räumt auf

Titel: Frau Schick räumt auf
Autoren: Ellen Jacobi
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und grinst, zwei Stühle weiter sitzt Hildegard und bemüht sich, ihm das zur Abwechslung einmal nicht übelzunehmen. Und da ist auch Bettina. Die ist aufgesprungen und führt Frau Schick zum Stuhl in der Mitte.
    Nelly folgt den beiden, schüttelt Hände und wird mit Schulterklopfen begrüßt. Die Willkommensworte werden geflüstert, schließlich ist man hier in einer Kirche. Das scheinen die spanischen Gläubigen und Kulturführer jedoch noch nicht bemerkt zu haben, die lärmen nämlich gewaltig.
    Frau Schick weigert sich, den mittleren Stuhl zu nehmen. »Kommt gar nicht infrage, da kommt doch noch wer, hat Thekla geschrieben.«
    Nelly ahnt, wer das ist, und wenigstens das macht sie für einen Moment sehr glücklich.
    Frau Schick nimmt einen Stuhl rechts von dem in der Mitte, den sie mit ihren Wanderstöcken freihält, und weist Bettina und Nelly Plätze neben sich an.
    Bettina erläutert die Sache mit dem Butterfass, und rasch versteht Nelly, dass Frau Schick natürlich den berühmten Botafumeiro meint: ein 1,60 Meter hohes gewaltiges Weihrauchfass, das an einem dreißig Meter langen Seil von der Decke herabhängt und auf Vorbestellung und gegen eine nicht geringe Spende nach dem Hochamt von sechs Männern in Bewegung gesetzt und bis hinauf unters Kirchendach geschwungen wird.
    Frau Schick schaut sich um. Sie ist ein wenig bange, dass ihr von dem Geruch schlecht wird. Mit Weihrauch hat sie es ja nicht so. Aber noch schlechter ist ihr vor Aufregung, weil jetzt schon ein Nonnenchor einzieht und sich vor dem Altar postiert.
    »Pünktlichkeit scheint keine von Johannes’ Tugenden zu sein.« Sie dreht und wendet den Kopf. »Aber das ist ja …!«
    Nelly reißt ebenfalls den Kopf herum.
    »Hope!«, ruft Bettina erstaunt.
    »Und sie hat ein schlafendes Kind auf dem Arm«, sagt Nelly.
    Bettina eilt zum Absperrseil und zieht es zur Seite, um Hope in den Stuhlkreis zu lassen.
    Hope lächelt und nickt. Sie geht direkt auf Frau Schick zu. »Könnten Sie meine Baby eine Moment halten? I have to find her Daddy .« Hope legt Frau Schick behutsam ein in ein weiches rosafarbenes Wolltuch gehülltes Baby in den Arm und schaut sich suchend in der Kirche um.
    »Wie niedlich und so hübsch, ganz Hope«, gurrt Bettina. »Fünf Monate alt würde ich schätzen, oder, Nelly?«
    »Das ist Ihr Kind?«, fragt Frau Schick vollkommen irritiert und starrt auf das warme Bündel. Sehr süß, auch wenn es ein bisschen nach feuchter Windel riecht.
    Hope winkt heftig mit den Armen. »Nicht meine Kind«, sagt sie, » unser Kind , you know . Von mir und von Johannes. Meine Mann.«
    Himmel, der Engel von Atlantis ist Johannes’ Frau? Da wird sie sich erst dran gewöhnen müssen, aber, nun ja, Geschmäcker sind verschieden und … »Herrjemine, das ist Pauls Enkelsohn?«
    »Sohn?«, Hope runzelt die Stirn. »Es ist eine Mädchen.«
    »Sie heißt Mary Rose«, sagt eine männliche Stimme. »Entschuldigen Sie, dass ich zu spät komme, Frau Schick. Sie sind doch Frau Schick, ich meine … Sie sind doch … Du bist doch meine Patentante, oder?« Johannes ist ein langer Schlacks in einem ausgesprochen gut sitzenden Anzug. Weder der Anzug noch sein Professorentitel hindern ihn jedoch offensichtlich daran, im Moment wie ein sehr großer Schuljunge vor einer entscheidenden Prüfung auszusehen. Einer Prüfung, auf die er sich ein wenig unvollständig vorbereitet hat.
    »Mary Rose «, wiederholt Frau Schick atemlos und lässt ihre Blicke zwischen Johannes, dem Baby und Hope hin- und hergleiten. Sie kann sich gar nicht entscheiden, wo sie zuerst hingucken soll. Am Ende siegt das Baby. »Rose.«
    »Thekla hat den zweiten Namen ausgesucht. Wir wollten erst den von ihr nehmen, aber das hat sie nicht gewollt. Sie hat gesagt, der zweite Name müsse Rose sein, ganz unbedingt, weil unsere Tochter ohne dich nicht auf dieser Welt wäre.«
    Frau Schick will etwas sagen, kann es aber nicht. Zuerst muss sie die Ohren überprüfen. Bei Jungs macht so etwas ja nichts, schon gar nicht bei Schlitzohren wie Paul eins war, aber bei Mädchen. Sie schiebt vorsichtig das Häkelmützchen zur Seite und atmet erleichtert auf. Die Ohren liegen fest an.
    » She is perfectly beautiful«, sagt sie. Mehr nicht. Auch weil uniformierte Kirchendiener um » Silence« , » Silencio« , »Stille« bitten und die Chorherren einziehen.
    Glockengeläut hebt an, die Orgel spielt ein Introito .
    Frau Schick bekommt von alledem nichts, aber auch überhaupt nichts mit. Dieser Moment gehört ganz ihr. Ihr
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