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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)
Autoren: Dorinde van Oort
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Hause geholt«, sagte sie.
    Wie war das eigentlich möglich, fragt er sich jetzt. Wo war Ann auf einmal hergekommen? Sie muss von jemandem alarmiert worden sein. Aber wer in Soestdijk wusste denn, wo er wohnt?
    Es sind Fragen, die sich ihm jetzt erst stellen. Und er verdrängt sie gleich wieder.
    Im Krankenhaus, als sein Bein geschient war und sie kurz allein waren, hat sie gesagt: »Christiaan. Es wird bestimmt wieder gut. Reg dich nicht auf. Wir schaffen das zusammen. Wir lassen alles regeln, genau so, wie du willst.« Sie schien zu meinen, er läge im Sterben. Wo er doch schon nach einem Tag wieder nach Hause durfte. Wo er besser von Ann gepflegt werden konnte.
    Er wurde von den Pflegern die Treppe hinaufgetragen. Das war am Gründonnerstag. Mary kam an Karfreitag zum Übernachten. Er hat sie kurz gesehen, hat ansonsten hauptsächlich geschlafen. Ann hat ab und zu nach ihm gesehen. Er ist viel alleine gewesen. Nach Marys Abreise ist Ann zum Schlafen ins Gästezimmer gezogen. Sonst bekäme sie kein Auge zu, sagte sie; und für ihn war es auch ruhiger so.
    Er hat fantasiert und geträumt. Er habe im Bett gesungen, hat Ann ihm erzählt.
Kein Schlaf noch kühlt das Auge mir.
Aber was Träume sind und was Erinnerungen, lässt sich schwer auseinanderhalten. Manchmal lebte der Argwohn, den Ann ihm vorgeworfen hat, wieder auf.
    »Aber Christiaan, du hast geträumt!«
    »Du hattest hohes Fieber, Christiaan!«
    »Solche Dinge musst du nicht sagen, Christiaan. Damit machst du mich sehr traurig.«
    Wieder so ein Bruchstück. Er liegt im großen Bett, allein. Ann schläft im Gästezimmer. Es ist früh am Morgen, die Vögel erwachen – ein prächtiges Konzert. Aber kalt. So kalt. Er ist von der Kälte aufgewacht. Die Decke ist vom Bett geglitten.Er kann sich nur mühsam bewegen, mit dem Bein, kann die Decke nicht packen. Als er endlich einen Zipfel erwischt, kann er die Kraft nicht aufbringen, um das Ding vom Boden wieder aufs Bett zu ziehen. Die Kälte strömt an seinem Kopf entlang, an seinem halb entblößten Oberkörper. Er liegt im Zug. Er hört eine Taube im Wald rufen, sehr laut:
Der Ruhkumm ruht nicht! Der Ruhkumm ruht nicht! Der   …
Er hört den Hahn des Nachbarn krähen, so laut, als säße er neben ihm auf dem Nachtkästchen.
    Eine der Balkontüren steht offen. Aufgeweht. Wie konnte denn das passieren? Die Gardine im benachbarten Bad weht ein bisschen. Das Badezimmerfenster ist also auch offen. Ist denn Sturm gewesen?
War doch heut Nacht ein Sturm gewesen, bis erst der Morgen sich geregt!
Aber er erinnert sich an keine Sturmnacht. Ann muss bei ihrer Runde gestern Abend vergessen haben, die Fenster zu schließen. Jetzt liegt er im Zug, was er absolut nicht verträgt, das weiß sie doch – und er kann nicht aus dem Bett mit seinem Bein.
    Er ruft. Nicht laut genug. Vielleicht ist sie noch mal eingeschlafen, sie schläft oft erst gegen Morgen ein.
    Lepel. Das Kutschhaus steht direkt hinterm Haus, sein Fenster ist gleich unterm Balkon. Er ruft, ruft, ruft. Erschöpft sackt er zurück und schläft ein.
    Folgender Blitz. Alles in heller Aufregung. Der Doktor ist gekommen. Doktor Wildvanck, dem er nicht vertraut, auch wenn Lepel und er noch so dick miteinander sind. Er kommt sogar als Freund hier zu Besuch.
    »Eine doppelte Lungenentzündung«, hört er. Er muss weit weg gewesen sein, sie fürchten um sein Leben. Lepel kommt sich verabschieden, bevor er wieder fürs Wochenende zu Mary geht. Er hat Tränen in den Augen. Er sitzt schweigend auf dem Rand des Bettes, seine Hand in seiner; zärtlich, so wie sie es selten miteinander gewesen sind. Warum Tränen, denkt er. Ich erhole mich schon wieder. Zu müde, um zu reden.
    Später   – Tage, Wochen später – hörte er Ann zum Doktor sagen, dass er merkwürdige Dinge von sich gebe. Dass er nicht essen wolle; weil er denke, dass er vergiftet werde. Das stimmt. Man erkennt es, auch wenn man es noch nie zuvor geschmeckt hat, so wie man Leichengeruch erkennt, ohne ihn jemals zuvor gerochen zu haben.
    Von da an wollte er nicht mehr essen, er traute dem nicht, auch nicht den Getränken, die Ann für ihn braute. Er schlief gut danach, aber ihm wurde auch schwindlig davon. Selbst den Pillen des Doktors vertraute er nicht, er warf sie zum Fenster hinaus.
    Drei Ärzte um sein Bett. Warum drei? Steht es so schlimm mit ihm? Doktor Wildvanck kennt er, auch wenn er ihm nicht vertraut. Wer sind die andern beiden? Er strengt sich an, um zu verstehen, was sie
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