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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)
Autoren: Dorinde van Oort
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Vergangenheit ungestraft verleugnen kannst. Wer die Vergangenheit verleugnet, wird durch sie eingeholt   …‹
    Was für ein Unsinn. Aber es tut weh, auch wenn es Unsinn ist.
Ce n’est que la vérité qui blesse
, hätte Pij gesagt, in ihrem vorzüglichen Französisch. Ist das wahr? Ist das Hochmut gewesen, seine Scheidung von Pij, seine Ehe mit Ann? Hochmut, die vor dem Fall kommt?
    Er ist tatsächlich gefallen, buchstäblich. Aber Hochmut, was ist Hochmut? Nicht vollständig aufpassen, das ist es. Blindheit für die eigenen Grenzen. Blindheit, vielleicht, auch für das, was man anderen antut.
    Er starrt zum Schatten des blühenden Maidorns, der sich sacht auf dem Rasen bewegt. Er hört den Wind in den Kiefern hinter der Laube. Er streicht das letzte Blatt von Pijs Brief glatt.
    ›Wärst Du wenigstens zu Dora zurückgegangen!‹, schrieb sie. ›Die beinahe vor Kummer gestorben ist, oder hast Du das etwa auch nicht begriffen?‹
    Ai! Wieder ein Pfeil, der sitzt. Dora, seine Jugendliebe. Arme Dora, die sich kein zweites Leben hatte schaffen können,so wie er, geschweige denn ein drittes. Seit die zwei Ältesten nach Holländisch-Ostindien gegangen sind, ist sie allein geblieben mit dem Hund und dem Papagei, in ihrem Haus über der Post in Dinxperlo. Henk, ihr jüngster, der von ihr weggeholt wurde, hat ihm einmal ein Foto gezeigt. Schrecklich. Er weiß sehr gut, dass sie da immer hinter den Gardinen stand, um einen Blick von ihm zu erhaschen, wenn er ins Dorf kam, um die Kinder bei ihrer Schwester zu besuchen, was besser war für jedermanns Gemütsruhe   …
    Sie kann doch nicht gehofft haben, dass er zu ihr zurückkehren würde, als es schiefgegangen war mit Pij? Dora, eine traurige, verwelkte Frau. Er ist in ihrem Alter, aber im Gegensatz zu ihr noch jugendlich vital. Wenn er Ann nicht begegnet wäre, hätte er die Qual der Wahl gehabt. Die Nachbarmädchen hier brennen darauf, Unterricht von ihm zu bekommen.
    Denn alle Schuld rächt sich auf Erden
, klingt es ihm vorwurfsvoll durch den Kopf. Der Schluss von etwas. Was war das doch gleich wieder?
    Schubert.
Gesänge des Harfners
, weiß er plötzlich.
    Wer nie sein Brot mit Tränen aß,
    Wer nie die kummervollen Nächte
    Auf seinem Bette weinend saß,
    Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte!
     
    Wenn es stimmt, dass Dora gehofft hat, er würde zu ihr zurückkehren, war sie dann vielleicht deswegen zusammengebrochen, kurz nach seiner Eheschließung mit Ann? Sie hat allem ein Ende machen wollen. Man hatte sie gerade noch retten können. Henk fand eine mit Bleistift geschriebene Nachricht, in der sie von allen Abschied nahm – auch von ihm, Christiaan. »So kann ich nicht länger leben.« Ohne Vorwurf. Ohne Klage.
    Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.
    Nein! Dora ist immer schon grüblerisch, sorgenvoll und kränklich gewesen. Es wird wieder so eine Unterstellung von Pij sein. Die, weil sie selber unglücklich ist, wie eine Wilde um sich schlägt, in der Hoffnung,
ihn
zu treffen. Ihre Ehe war zum Scheitern verurteilt. Lepel wollte ja auch nichts mehr von ihr wissen. Sie hat es selber so gewollt.
    Du stolzes Herz, du hast es ja gewollt.
    Du wolltest glücklich sein, unendlich glücklich!
    Oder unendlich elend   … unendlich elend
    Stolzes Herz, und jetzt so bist du elend!
     
    Doch tut Pijs Brief seiner Gemütsruhe nicht gut. Es scheint so, als ob heute, ausgerechnet jetzt, da er wieder ordentlich bei Kräften ist, alle Brocken seines Lebens an ihm vorbeiziehen müssen. Wenn es mit Ann ebenfalls schiefgeht, wovor er manchmal Angst hat, dann ist sein Lebensschiff gestrandet.
    Sie wollen noch einmal zusammen zum Notar Zwart gehen und alles ehrlich regeln, hat sie versprochen. Hat sie es sich jetzt anders überlegt? Sie weicht jedem Gespräch aus. Sie verhält sich merkwürdig, die letzte Zeit. Hat sie etwa darauf gehofft, dass er nicht wieder gesund wird, dass er es nicht schafft?
    Sein Krankenbett ist beinahe sein Totenbett geworden. Manchmal kommen Bruchstücke nach oben, bunte Bilder, die er während seiner Krankheit geträumt hat. Sein Sturz unterwegs zum Notar. Was ist da eigentlich passiert? Er muss von einem plötzlichen Schwindelgefühl übermannt worden und einfach so zusammengesackt sein. Er kann sich nur noch an den unsäglichen Schmerz erinnern. Er wurde im Krankenwagen nach Amersfoort gebracht. Als er wieder zu sich kam, saß ein Pfleger mit einem Beatmungsgerät neben ihm. Ann saß auf dem Klappstuhl am Fußende.
    »Sie haben mich von zu
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