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Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)

Titel: Frau im Schatten: Eine Familiengeschichte (German Edition)
Autoren: Dorinde van Oort
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Du nichts weißt   …‹
    Sie fragt nicht einmal, wie es ihm geht. Es ist anscheinend nicht zu ihr durchgedrungen, wie krank er gewesen ist. Mansollte doch meinen, dass Lepel sie informiert hätte. Der hat sie unlängst doch aufgesucht.
    ›… was Du als Liebe betrachtest. Dass es ihr in erster Linie um das Geld ging – Wusstest Du etwa auch nichts über ihre Affäre mit Ouds ältestem Sohn?‹
    Mit einem Schrecken fährt er hoch. Er nimmt die Sonnenbrille ab, hält sich den Brief dicht vor die Augen und starrt auf Pijs energische Buchstaben. Ein Verhältnis? Der Politiker? Wie kommt Pij denn darauf? Ist das wahr? Sollte sie ihn noch immer lieben?
    Und deswegen nicht ihn. Er starrt vor sich. Alpträume kommen ihm ins Gedächtnis. Fieberträume. Visionen von Ann, die ihn auslacht. Ihn verspottet. Die wünscht, dass er tot ist. Die einen anderen liebt.
    Er liest weiter. ›… erst begriffen – dass ihr mir eine Falle gestellt habt. Mich habt bespitzeln lassen. Dass Du Dich hast kaufen lassen, um Dich von mir scheiden zu lassen   … abgekartetes Spiel   … wie billig, nach all den gemeinsamen Jahren   …‹
    Er lässt den Brief in seiner zitternden Hand sinken. Pij weiß also Bescheid über Ouds Geld. Er weiß auch woher. Die Oberin, die alles sieht und lenkt hinter ihren Spitzengardinen. Als Ann nach Ouds Tod auf der Straße zu landen drohte, hat sie Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um ihre Ehe zustande zu bringen. Die ganze Familie, einschließlich Pij, war sich ja einig, dass es für Ann eine Lösung geben musste.
    Nun, das war gelungen. Drei Fliegen mit einer Klappe. Er selbst gerettet aus einer hoffnungslos gescheiterten Ehe; Ann versorgt; Pij bequem untergebracht bei ihrem alten
amant
, mit dem sie anscheinend immer noch nicht gebrochen hat. Das haben sie ja nun allen bewiesen. Aber jetzt, da seine neue Ehe ein
fait accompli
ist und Pij sich nicht abgefunden hat mit der Entscheidung, die ihr – so wie sie es sieht – aufgezwungenworden ist, hat die Oberin offenbar ein neues Ziel für ihre Menschenliebe gefunden und wieder Partei für ihre Tochter ergriffen.
    Sie hat ihr, gegen alle Abmachungen, Anns Geheimnisse verraten.
    Frauen, denkt er, Frauen. Sie fordern unseren Charakter heraus. Sie bringen das Schlechteste, das Schwächste in einem nach oben. Und leider, leider! Allein unsere Schwächen beweisen, wer man letztendlich ist. Frauen sind der Test, ob das Eis unserer Selbstbeherrschung halten wird oder ob wir jämmerlich hindurchsinken – ein Eisloch, aus dem man nicht mehr so leicht nach oben kommt.
    Die Scheidung   … ein abgekartetes Spiel, das kann er nicht leugnen. Aber das hat sie sich selbst zuzuschreiben. Die Affäre mit Pim, die sich über Jahre hingezogen hat – es kommt ein Punkt, wo man es nicht mehr schluckt. Sie hat es mit gleicher Münze heimgezahlt bekommen. Und hat Pij, als sie ihn so dringend hatte heiraten wollen, etwa Rücksicht auf Dora genommen?
    Und er selbst, geht es ihm quälend durch den Kopf. Hat er denn Rücksicht auf Dora genommen?
    Als das mit Pij angefangen hatte – sie hatte schließlich angefangen! – 1914, war Henk, sein jüngster Sohn, noch kein Jahr alt gewesen. Pij, seine Schülerin, die schöne, die leidenschaftliche Pij. Er hat sie durchs Abschlussexamen gezogen, obwohl sie kein großes Talent war. Er war verliebt – und doch: Wenn die Oberin ihn nicht einbestellt hätte (»Du hast sie geschwängert, Christiaan. Du musst die Verantwortung übernehmen!«), hätte er dann Dora und die Kleinen verlassen?
    Er war auch da reingelegt worden. Pij war gar nicht schwanger. Aber sie waren glücklich, am Anfang. Dann kamen die Kinder   – Cora, Lepel. Kurz danach verlor sie ihre Stimme. Das war in der Zeit seines Frauenquartetts. Die Tourneen, aufdie sie so neidisch war. Und ja, er hatte sich ab und zu mal einen Seitensprung geleistet. Aber nicht so öffentlich, so dauerhaft, so schamlos wie Pij. Und jetzt hat sie ihren Pim, und dann ist es auch wieder nicht recht. Wäre sie lieber bei ihm geblieben.
    Weit entfernt, im Haus, klingelt das Telefon. Wenn das mal nicht wieder diese Schwester von Ann ist, die hier erst vor kurzem zu Gast war. Die ganze Zeit seiner Krankheit war sie hier. Das wird dann wieder stundenlanges Geklüngel über Krankheiten und Mittel gegen allerlei Leiden. Er hat Bruchstücke ihrer Gespräche mit Befremdung verfolgt.
    Er wartet, die Ohren gespitzt. Dann holt er Pijs Brief wieder hervor.
    ›… Hochmut, zu denken, dass Du Deine
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