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Frau Holle ist tot

Frau Holle ist tot

Titel: Frau Holle ist tot
Autoren: Roland Stark
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Veronika abwenden. Ihre Schwester
     stand im wallenden weißen Kleid, einer stolzen Königin gleich, neben dem Mann,
     den Maria abgöttisch liebte. Sie hatte ihn ihr gestohlen.
    Miststück.
    Nie hätte Maria gedacht, dass sie jemanden so sehr verabscheuen könnte.
     Sie spürte einen salzigen Geschmack auf ihren Lippen und lächelte angestrengt.
     Jeder würde annehmen, dass sie das Glück ihrer Schwester beweinte.
    Dabei zerriss es sie innerlich.
    Dort, wo ihr Herz pochte, saß seit Monaten ein schwerer Stein, der
     die Arbeit des Muskels zu behindern schien.
    Das Brautpaar wandte sich einander zu. Der Ministrant hob das Kissen
     mit den Eheringen.
    Das Miststück hatte sogar die Frechheit besessen und sie gefragt, ob
     sie Trauzeugin werden wollte. Veronika hatte dabei mit ihren blonden Locken
     gespielt, sie immer wieder um den Zeigefinger gedreht und unschuldig mit ihren
     großen blauen Augen geklimpert, denen niemand widerstehen konnte. Doch ihr
     spöttisch hochgezogener Mundwinkel hatte sie verraten.
    Freude heuchelnd hatte Maria zugestimmt. Den erneuten Triumph im
     ewigen Geschwisterkampf wollte sie Veronika nicht gönnen. Eine Weile war sie
     von ihrer Schwester stumm fixiert und ihr Gesicht auf eine verräterische Regung
     untersucht worden. Doch Maria hatte sich im Griff gehabt. Merklich enttäuscht
     war Veronika schließlich gegangen. Das kleine Duell hatte Maria für sich
     entscheiden können, doch die Schlacht hatte sie verloren. Gegen die strahlende
     Schönheit konnte sie einfach nichts ins Feld führen. Sie, die graue,
     schüchterne Maus, musste sich wieder einmal hinten anstellen.
    Stets hatte Veronika das begehrt, was Maria gehörte. Und auch
     bekommen. Zeit ihres Lebens war es so gewesen. Der Teddy zu Ostern kam Maria in
     den Sinn. Sieben Jahre war sie alt gewesen. Veronika hatte einen Heulkrampf
     inszeniert, bis es ihrem Vater zu viel geworden war. Der Teddy war in Veronikas
     Arme gewandert, und sie hatte im Gegenzug einen abscheulich hässlichen
     Stoff-Fisch geerbt. Eklig. Maria hasste Fische.
    Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken. Mit dieser Hochzeit
     war es ebenso. Ihre Schwester wollte ihr eins auswischen. Niemals ging es ihr
     um echte Zuneigung, ganz zu schweigen von tief empfundener Liebe, da war sich
     Maria sicher.
    »Vor Gottes Angesicht nehme ich dich an als meinen Mann. Ich
     verspreche dir die Treue in guten und bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit,
     bis der Tod uns scheidet. Ich will dich lieben, achten und ehren alle Tage
     meines Lebens.« Veronikas Stimme klang hell und klar, keine Spur von
     Lampenfieber oder Unsicherheit.
    Panik erfasste Maria. Nur noch ein paar Worte, nur wenige Sekunden,
     dann hatte sie ihn verloren. Ein wimmernder Laut verließ ihre Lippen.
     Erschrocken hielt sie sich den Mund zu. Der Fotograf, der ganz in der Nähe
     stand, sah sie an und runzelte die Stirn.
    Maria hob die Hand und bedeutete ihm so, dass mit ihr alles in
     Ordnung war. Es schien ihn zu beruhigen, denn er hob die Kamera und widmete
     sich wieder seiner Aufgabe.
    Verstohlen blickte sie sich um. Die Kirche war bis auf den letzten
     Platz besetzt. Sogar längs der Wände und hinter den Bänken standen die Gäste in
     Zweierreihen. Veronika war beliebt. Sie verstand es, sich Freunde zu machen.
    Erleichtert stellte Maria fest, dass niemand sonst ihr Wimmern
     bemerkt hatte.
    Alle verfolgten gespannt, wie Veronika ihm den Ring aufsteckte.
     »Trage diesen Ring als Zeichen meiner Liebe und Treue. Im Namen des Vaters und
     des Sohnes und des Heiligen Geistes.«
    In Marias Ohren rauschte es. Sie verstand nichts mehr, sah nur, dass
     die Lippen des Pfarrers sich bewegten.
    Es war besiegelt, vor ihren Augen, vor den Hochzeitsgästen und vor
     Gott.
    Mit zitternden Händen riss sie ihren Schal vom Hals und taumelte
     einen Schritt vorwärts. Jetzt schien sich die Kirche zu bewegen, sie schwankte
     wie ein Boot auf hoher See. Ihr Blick verengte sich zu einem Tunnel, an den
     Rändern verdichteten sich schwarze Schatten. Sie spürte einen dumpfen Schmerz
     am Oberarm und versuchte, die Ursache zu erkennen. Für einen kurzen Moment
     klärten sich ihre Sinne.
    Sie sah eine Hand.
    Dann fiel sie in Ohnmacht.

EINS
    »Stech ab!«
    Fischbach zögerte. Die Herzdame lag auf dem Tisch und schenkte ihm
     ein halbes Mona-Lisa-Lächeln. Er überlegte. Den Kreuzbuben opfern, um die blank
     gespielte Herzzehn mit nach Hause zu nehmen? Wie viel Trumpf war eigentlich
     schon durch? Stumm
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