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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman
Autoren: Insel Verlag
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Herzblut im ganzen Körper, ich habe geliebt, habe die von Breton geforderte verrückte Liebe erlebt, nur ohne Breton.«
    »Tatsächlich? Und hast du auch entdeckt, dass Gefühle einen Dreck wert sind?«, ruft Leonora.
    Pepita erbleicht. Ihre Hände zittern, als sie die Teetasse zum Mund führt.
    »Sag mal, Mädchen, kannst du Brot backen? Kannst du stundenlang in der prallen Sonne Reben schneiden? Kannst du deinen eigenen Wein machen? Kannst du die Laken deines Geliebten waschen und dich ins Bett legen wie in die Mitte eines Flusses? Als ich im Begriff war, mich in eine Gehstütze für Max’ alte Tage zu verwandeln, als ich mich anschickte, ihn ein Leben lang zu begleiten, trat ein Gendarme in die Küche und fragte nach ihm, über den Topf hinweg, in dem die Herzenssuppe kochte, und dann nahm er ihn mit geschultertem Gewehr mit nach Les Milles. Der Krieg hat alles zunichte gemacht. Was mich letzten Endes immer wieder gerettet hat, war die Malerei.«
    Pepita vertraut ihr an, dass Gott ihr schnuppe sei, Gott und der Erzbischof von Mexiko und der Präsident der Republik, der Polizeichef und die Parlamentskandidaten.
    »Und woran glaubst du?«, fragt Leonora.
    »An dich.«
    »Ich glaube auch nicht an die Politiker und verstehe Leute nicht, die nach Macht streben. Im Grunde bin ich eine Anarchistin wie Kati. ›Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut‹, hat der erste Anarchist Lord Acton gesagt.«
    »Willst du wissen, woran ich noch am ehesten glaube, Leonora? An mich selbst und an die Treue meiner beiden Katzen und meiner Hündin.«
    »Wie heißt deine Hündin?«
    »Drusille.«
    »Ach! So heißt auch die Figur einer meiner Erzählungen.«
    »Deshalb habe ich sie ja so genannt. Wärst du dieselbe gewesen, wenn du in England gelebt hättest?«
    »Nein, ich wäre keltischer, irischer gewesen. Vielleicht hätte ich in Westmeath gelebt. Aber wenn ich es mir genau überlege, hat erst Mexiko mich zu dem gemacht, was ich heute bin, denn wäre ich in England oder in Irland geblieben, hätte ich die Welt meiner Kindheit nicht so vermisst wie hier … Ich male mein Heimweh.«
    »Die Last deiner Vorfahren.«
    »Maria Edgeworth habe ich zwar nie gelesen, aber ich glaube, mir wachsen keine Haare auf dem Kopf, sondern irisches Gras.«
    Pepita nimmt sie mit ins Restaurant La Lechuza in der Avenida Miguel Ángel de Quevedo.
    »Jetzt essen wir Tacos.«
    Leonora setzt sich auf ein niedriges Stühlchen nah dem Ofen, in dem ein Feuer flackert.
    »Sieh mal, da drüben sitzt Rubén Bonifaz Nuño, der Übersetzer von Homer und Ovid. Willst du Tacos mit Leber oder mit Pilzen?«
    »Pilze haben eine Seele«, antwortet Leonora, die gerade zu ihrem Besteck greifen will.
    »Warte auf mich, Leonora, ich will den Dichter kurz begrüßen.«
    »Kennst du ihn denn?«
    »Nein.«
    Genau in dem Moment, als Rubén in einen mit Rindfleisch und roter Soße gefüllten Taco beißen will, tritt sie an seinen Tisch. Eine Sekunde später verneigt er sich vor Leonora:
    »Ich liege Ihnen zu Füßen, Señora.«
    Pepita ist eine amüsante Unterhalterin.
    »Ich weiß ja, dass wir nicht alle Genies sein können wie Sie und Rubén«, sagt sie.
    Sie fahren den Paseo de la Reforma entlang, und Leonora entdeckt, dass die Skulpturen, die sie in kleinem Format in ihrer dunklen Höhle modelliert hat, zu Riesen angewachsen sind. Der Arzt Isaac Masri hat sie auf dem Bürgersteig aufstellen lassen, in der Allee, durch die sie einst geritten ist, bis die Strecke sie zu langweilen begann. Jetzt sieht sie, wie die Leute sich auf ihren Kannibalentisch setzen und Kinder versuchen, in ihr Geisterhaus zu schlüpfen. Es gefällt ihr, dass ihr Krokodil sich sonnt und der Ofen von Simon Magus über drei Meter hoch ist. Ihre Skulpturen genießen die Sonne, die Sumpfzypressen und die Autofahrer, die ihr Wagenfenster öffnen, um sich im Vorbeifahren die Kunstwerke anzusehen.
    »Heute nehme ich dich mit zu einem Riesenaquarium, das erst vor Kurzem im Süden der Stadt eröffnet wurde.«
    »Was für ein Aquarium? Ist es weit weg?«
    »Ja, aber falls es spät wird, essen wir einfach dort.«
    »Wo?«
    »In irgendeinem Restaurant. Übrigens haben mir Leute gesagt, ich sähe dir ähnlich. Aber ich weiß natürlich, so hübsch wie du bin ich nicht, oder?«
    »Doch, natürlich, du bist größer«, sagt Leonora lächelnd. »Ich bin inzwischen geschrumpft; denn mit dem Alter wird man immer kleiner, damit man besser in den Sarg passt. Ich habe mehrere Leben gelebt, das meiner Kindheit, das
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