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Frau an Bord (Das Kleeblatt)

Frau an Bord (Das Kleeblatt)

Titel: Frau an Bord (Das Kleeblatt)
Autoren: Hansi Hartwig
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hast nichts verpasst, echt nicht.“
    Mit einer fahrigen Handbewegung wischte sie sich über die Augen und schluckte schwer, bevor sie weitersprechen konnte: „Sei froh, dass du dir das nicht antun musst, obwohl … Tut mir leid, wenn ich immer noch etwas stinkig bin. Aber ich verstehe einfach nicht, weshalb du so klammheimlich verschwinden musstest! Dein alter Herr hätte es gewiss noch einen Tag ohne dich überlebt. Du hattest versprochen, auf mich zu warten und mit mir zum Abschied von den ‚Guten Tieren’ einen draufzumachen. Und was war? Ihr habt mich alle hängenlassen! Sogar von unseren Kreuz- und Querfahrern war keiner mehr aufzutreiben. Abgesehen von Mehli natürlich. Ausgerechnet! Der hat mir für Cat …“
    Ihr Blick flog über das ruhige, dunkle Wasser und blieb an einem Punkt irgendwo in der Ferne kleben. In ihren Händen drehte sie einen kleinen Kranz aus weißen Rosen.
    „Wir haben dich nicht vergessen, Cat. Selbst wenn uns in letzter Zeit mächtig der Kopf schwirrte, mussten wir oft an unseren Törn auf der ‚Tina’ denken. Und an die Zeit mit dir. Und daran, dass wir alle nach dem Studium ein letztes Mal richtig über die Stränge schlagen wollten. Eine Woche Bodden und Zelten, Männer und Alk bis zum Abwinken.“
    Sie lachte freudlos. „Man sollte wohl besser etwas weniger Zeit ans Planen verschwenden, weil es immer etwas gibt, das dir einen Strich durch die Rechnung macht. Cat, ich bin sicher, du kannst mich sehen und hören, obwohl ich nicht weiß, wo du bist. Ich fühle es und es tut furchtbar weh zu wissen, dass wir uns … Ach, ich wünschte, wir könnten die Zeit zurückdrehen. Ein Mal nur. Dieses eine Mal. Ich würde Jahre meines Lebens dafür geben. Für dich.“
    Sie schluckte mit Mühe einen Seufzer hinab und kaute auf ihrer Unterlippe. Unbemerkt hatten sich Tränen aus ihren Augen geschlichen und kullerten über ihre glühenden Wangen. Sie schüttelte heftig den Kopf und atmete tief durch. Tränen und Bedauern brachten ihr keinen der Freunde zurück.
    „Ihr fehlt mir so, Cat, Bea. Sogar Mehlis Gesellschaft und seine neunmalklugen Sprüche würde ich heute mit Kusshand in Kauf nehmen, bloß um mich nicht so dämlich und nutzlos zu fühlen. Mit Karo ist ebenfalls nichts mehr anzufangen, seit sie schwanger ist. Sie hat ziemlichen Ärger mit Angel.“
    Wieder blickte sie sich auf dem Deck um, hob fröstelnd die Schultern und kroch in sich zusammen. In der Aufregung hatte sie ganz vergessen, sich einen Pullover über ihre dünne Bluse zu ziehen. An die herbstlichen Temperaturen, die durch den Fahrtwind noch niedriger erschienen, hatte sie in all dem Durcheinander keinen Gedanken verschwendet. Und natürlich hatte sie auch nie ein Taschentuch einstecken.
    „Eigentlich muss ich dir das gar nicht erzählen. Ich kann dich nicht sehen und doch bist du immer ganz nah bei uns. Du hast ein wachsames Auge auf uns, stimmt’s? So muss es sein.“ Schniefend zog sie ihre Nase hoch. „Cat, für dich.“
    Sie beugte sich über die Reling und warf den Blumenkranz in das schäumende Wasser.

4. Kapitel
     
    In Gedanken bereits in die aufwendige Essensplanung für den kommenden Seemannssonntag versunken, stieß der Mann mit dem Knie das Schott der Kombüse auf. Mit beiden Händen schleppte er die Fuulbrass vor sich her, um die Abfälle des Mittagessens zu entsorgen. Erst im letzten Moment blickte er auf und stoppte mit einem Ruck, um das zierliche Wesen an der Reling nicht umzurennen. Er runzelte die Stirn und holte tief Luft für ein warnendes „Vorsicht“.
    Warum er den Mund schloss, ohne einen Ton von sich zu geben, und stattdessen wie gebannt auf den schmalen Rücken der Fremden starrte – er konnte es sich nicht erklären. Er spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg, und lauschte der heiseren Stimme und den abgehackten Sätzen, konnte dennoch nur hin und wieder ein einzelnes Wort oder Satzfetzen verstehen. Unüberhörbar dagegen mahnte ihn eine innere Stimme davonzulaufen, so schnell ihn seine Beine trugen.
    Wi e ein Idiot blieb er stehen.
    Vielleicht machte er sich nicht bemerkbar, weil er plötzlich das verhaltene Schluchzen der Frau vernahm. Dabei wäre gerade das kein Grund für ihn gewesen zu bleiben. Was hätte er ihr sagen sollen? Sie trösten? Er ?!
    Irgendetwas geschah mit ihm. Sein Puls beschleunigte sich und er verspürte das geradezu übermächtige Verlangen, sie in die Arme zu nehmen und so lange zu halten, bis es ihr besser ging. Dieses Bedürfnis war vollkommen neu für
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